Be­richt zur An­reiz­re­gu­lie­rung

Ausgabejahr 2006
Erscheinungsdatum 30.06.2006

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, überreichte heute in Berlin den Bericht zur Anreizregulierung an den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos. Mit dem modernen regulatorischen Instrument der Anreizregulierung sollen Wettbewerbsprozesse simuliert und damit die Effizienz der Strom- und Gasunternehmen gesteigert werden.

Die Anreizregulierung soll die bisher übliche Kostenkontrolle ablösen, die den Netzbetreibern zu wenig Anreize gibt, ihre Kosten zu senken. "Die Unternehmen erhalten durch die Anreizregulierung für mehrere Jahre feste Erlösobergrenzen. Sie können sich dann darauf konzentrieren, ihr Geschäft zu optimieren, anstatt dem Regulierer alljährlich ihre Kosten vorzurechnen", sagte Kurth. "Unternehmen, die sich ihren Aufgaben und neuen Herausforderungen pro-aktiv stellen, erhalten durch die Anreizregulierung zusätzlichen unternehmerischen Freiraum und die Aussicht auf höhere Renditen. Es liegt dann im eigenen Interesse des Unternehmens, besser, effizienter und innovativer zu werden. Die Regulierungsbehörden müssen nicht mehr jährlich in Detailprüfungen einsteigen, sondern überprüfen die Entwicklung in regelmäßigen Abständen von bis zu fünf Jahren. Wer dabei besonders erfolgreich seine Kosten senkt, darf auch höhere Gewinne machen. Wer auf der Stelle tritt, schneidet natürlich schlechter ab", so Kurth weiter.

Die Bundesnetzagentur hatte im August letzten Jahres mit Wirtschaft, Wissenschaft und Ländern einen breit angelegten Konsultationsprozess gestartet. In regelmäßigen Sitzungen mit den maßgeblichen Verbänden wurden die verschiedenen Themenschwerpunkte des Konzepts erörtert. Internationale Erfahrung und wissenschaftliche Expertise integrierte die Bundesnetzagentur im Rahmen des Rats der Europäischen Regulierer und durch eine internationale wissenschaftliche Konferenz mit namhaften Experten. Bis Ende Juni wurden intensive Fachgespräche mit Unternehmen und Verbänden geführt, um auch für kontroverse Punkte sachgerechte Lösungen zu finden und alle Anregungen sowie konstruktive Kritik in die abschließende Bewertung einzubeziehen.

Innerhalb eines Jahres wurde damit ein umfassendes Konzept entwickelt, das direkt in eine Verordnung und in die Praxis umsetzbar ist. Am 2. Mai 2006 wurde ein Entwurf des Berichts veröffentlicht und zur Konsultation gestellt, bis zum 26. Juni 2006 wurden der Bundesnetzagentur 25 Stellungnahmen übersandt, die auch im Internet veröffentlicht wurden.

Sehr kontrovers wurde die vorgeschlagene Absenkung der Erlöse kommentiert. Während die Netzbetreiber und ihre Verbände die Absenkungsvorschläge als zu hoch und zeitlich zu schnell werteten, forderten die Kunden- und Verbraucherverbände hingegen eine stärkere und schnellere Absenkung. Die umfangreichen Konsultationen empfand Kurth aber insgesamt als produktiv. "Auf sachliche Kritik und praktikable Vorschläge sind wir stets eingegangen und es ist keine Überraschung, dass die Betroffenen eher für kleinere Absenkungen plädieren“, so Matthias Kurth.

Die Bundesnetzagentur schlägt in ihrem Bericht vor, über sechs bis acht Jahre sog. Gleitpfade für die Gesamterlöse der Netzbetreiber vorab festzulegen. Mit den Gleitpfaden sollen die Netzbetreiber auf ein möglichst einheitliches Effizienzniveau gebracht werden. Danach soll zu einem System übergegangen werden, in dem die Vorgaben zur Erlössenkung vollständig durch Unternehmensvergleiche ermittelt werden, wie es auch im Wettbewerb der Fall ist (Vergleichswettbewerb oder Yardstick-Competition). Es lässt sich vermuten, dass die gesamte Netzbranche in den nächsten Jahren im Vergleich zur Situation nicht regulierter und wettbewerblicher Branchen erhebliche Produktivitätssteigerungen realisieren kann. Die Bundesnetzagentur schlägt deshalb vor, dass auch relativ effiziente Netzbetreiber ihre Erlöse um jährlich 1,5 Prozent bis 2 Prozent senken sollen. Weniger effiziente Netzbetreiber müssen darüber hinaus ihre Erlöse umso stärker senken, je ineffizienter sie sind. Um festzustellen, wie effizient ein Netzbetreiber tatsächlich ist, will die Bundesnetzagentur verschiedene wissenschaftlich anerkannte und international erprobte Verfahren des Effizienzvergleichs einsetzen und in einem sog. komplementären Benchmarking optimal nutzen. Dafür bietet Deutschland mit über 1.500 Netzbetreibern beste Voraussetzungen. Die Bundesnetzagentur wird dabei auch berücksichtigen, welche besonderen Erschwernisse sich für die Netzbetreiber aus Unterschieden in Landschaft, Boden und Besiedlungsstruktur ergeben.

Kurth betonte, den Maßstab für Effizienz müssten die besten strukturell vergleichbaren Unternehmen setzen: "Ich kann nicht erkennen, warum für einen Netzbetreiber generell nicht erreichbar und nicht zumutbar sein soll, was ein anderer Netzbetreiber in vergleichbaren Versorgungsstrukturen im praktischen Leben unter Beweis stellt."

Innerhalb der Gleitpfade liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, wie sie ihre Kosten senken und bei stärkeren Kostensenkungen auch zu höheren Renditen kommen. Um der Gefahr, dass Netzbetreiber deswegen die Instandhaltung vernachlässigen und notwendige Investitionen aufschieben könnten, zu begegnen, enthalte das Konzept der Bundesnetzagentur besondere Regelungen gegen Investitionshemmnisse und zur Sicherstellung der Versorgungsqualität, die international ihre Wirksamkeit schon gezeigt hätten. "Für überdurchschnittlich gute Versorgungsqualität sollen den Netzbetreibern Aufschläge auf ihre Erlösobergrenze gewährt werden, bei unterdurchschnittlicher Qualität soll es Abschläge geben." Kurth appellierte an die Netzbetreiber, fehlende Daten hierfür zügig zu liefern, anstatt eine Verschiebung der Qualitätsregulierung bis nach 2011 zu fordern. "Wenn die Energienetzbetreiber seit Jahren betonen, die Qualität der deutschen Netze sei international nachweisbar überdurchschnittlich, dann wäre es eine Blamage, wenn dies beim Start der Anreizregulierung nicht durch nachvollziehbare und beweisbare Daten der einzelnen Netzbetreiber untermauert werden könnte", sagte Kurth.

Für die Vorschläge einiger Netzbetreiberverbände, die Unternehmen sollten ihre Investitionen in den nächsten Jahren behördlich 'freizeichnen' lassen, äußerte er wenig Verständnis. Es könne nicht jede Investition davon abhängig gemacht werden, dass der Staat eine absolute Garantie für den Kapitalrückfluss gebe. "Derartige Forderungen sind in anderen Branchen unvorstellbar und passen auch nicht zu der von den Unternehmen betonten Managementverantwortung. Es ist ein Widerspruch, hohe Renditen zu fordern, andererseits übliche unternehmerische Investitionsrisiken an den Staat zu delegieren. Auch in andere Netzen, wie z. B die Telekommunikationsnetze, müssen Milliardeninvestitionen getätigt werden, ohne dass hierfür staatliche Garantien erfolgen", so Kurth. Der Bericht der Bundesnetzagentur schlägt vor, den Netzbetreibern einen Ausgleich für notwendige Erweiterungen und Umstrukturierungen zu gewähren und spricht sich klar gegen Mikromanagement, Investitionslenkung und Detailvorgaben durch die Regulierungsbehörden aus.

Kurth verglich die Anreizregulierung zusammenfassend mit einem Trimm-Dich-Pfad, in dessen Ausgestaltung auch die Sportler einbezogen würden: "Wir setzen weiterhin auf den Dialog mit der Branche und stehen konstruktiven Vorschlägen offen gegenüber. Aus dem vorgeschlagenen Fitness-Programm darf aber kein bequemes Wellness-Programm für die lautesten Kritiker werden. Angesichts der jahrelangen auskömmlichen Kalkulationsbasis der Netzbetreiber, den vorhandenen Rücklagen und der Tatsache, dass wir auf Basis einer Monopolsituation starten, wäre eine Anreizregulierung in homöopathischen Dosen verfehlt. Die Energienetzbetreiber sind sowohl technologisch als auch von ihrer langjährig guten Ertragslage durchaus in der Lage, sich den gleichen Anforderungen zu stellen wie in anderen Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Wenn wir erst in acht Jahren allen das Ziel vorgeben, die Effizienzwerte zu erreichen, die die Besten der Branche bereits heute realisiert haben, dann sind das angemessene Anpassungsfristen." Die zügige Einführung der Anreizregulierung sei im Sinne der Verbraucher wie der Unternehmen. Kurth setzt deshalb auf eine rasche Umsetzung der Vorschläge, damit die Anreizregulierung am 1. Januar 2008 starten kann. An die betroffenen Unternehmen und Verbände richtete Kurth den Appell, nicht mit pauschaler Kritik und Schnellschüssen zu reagieren, sondern sich erst gründlich und nüchtern mit den Vorschlägen der Bundesnetzagentur zu beschäftigen. „Es gibt zahlreiche und substanzielle Verbesserungen gegenüber dem ersten Entwurf.“


Pressemitteilung (pdf / 50 KB)

Bericht zur Einführung der Anreizregulierung (PDF / 8 MB)

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