Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung
Die Blockchain-Technologie kann auch in der öffentlichen Verwaltung eine Reihe von Mehrwerten bieten. Sie kann vor allem dazu beitragen, die IT-Infrastruktur der öffentlichen Verwaltung dezentraler und föderaler zu organisieren. Damit bietet sie das Potenzial, die Datensouveränität von Bürgern und Unternehmen zu erhöhen und zugleich das Überwachungspotenzial des Staates gegenüber Bürgern und Unternehmen zu reduzieren. Dies beruht auf der Tatsache, dass Daten in Blockchains in der Regel nicht zentral an einem Ort abgespeichert werden. Aus diesem Grund kann die Blockchain-Technologie auch dazu beitragen, dass Datendiebstähle durch IT-Angriffe auf sensible Daten, die die öffentliche Verwaltung von Bürgern und Unternehmen zu verschiedensten Zwecken erhebt, erschwert werden.
- Selbstsouveräne Digitale Identitäten
- Blockchainbasierte Verwaltungsdienste
- Behördenübergreifender Informationsaustausch auf Basis der Blockchain-Technologie
- Bereitstellung Öffentlicher Blockchain-Infrastrukturen
- Besonderheiten der Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung
Die Bundesnetzagentur befasst sich bereits seit Längerem mit den Potenzialen und Herausforderungen der Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung und steht dazu in regelmäßigem Austausch mit anderen Behörden. Die Bundesnetzagentur ist unter anderem auch in verschiedenen Arbeitsgruppen des europäischen Blockchain-Projekts European Blockchain Partnership tätig und beteiligt sich durch die Bereitstellung eines Blockchain-Knotens in ihrem Rechenzentrum in Mainz auch am Aufbau der dafür notwendigen europäischen Blockchain-Infrastruktur EBSI.
Selbstsouveräne Digitale Identitäten
Die Grundlage vieler potenzieller blockchainbasierter Verwaltungsdienste könnten zukünftig sog. Selbstsouveräne Digitale Identitäten („Self-Sovereign-Identities“, kurz SSI) bilden. Bei diesem Identitätskonzept werden wesentliche Identitätsdaten der Bürger dezentral in einer Software auf dem jeweiligen Endgerät (in der Regel auf dem Smartphone) abgespeichert. Eine solche Software wird häufig als Identity Wallet bezeichnet. Mit Hilfe dieser Identity Wallet können die Bürger ihre Identitätsdaten verwalten, d.h. sie können neue Daten aufnehmen und diese Daten Dritten zugänglich machen. Ohne die ausdrückliche Zustimmung des Bürgers kann keine Drittpartei diese Daten einsehen. Bei den in der Identity Wallet abgespeicherten Daten kann es sich sowohl um Stammdaten der Bürger wie Name, Anschrift, Geburtsdatum oder Steuernummer handeln als auch um beliebige zusätzliche Informationen und Berechtigungen wie E-Mail-Adressen, Parkausweise oder ÖPNV-Tickets. Eine dezentrale IT-Infrastruktur wie die Blockchain-Technologie wird beim Self-Sovereign-Identity-Konzept als Verifikationsschicht genutzt, um die Herkunft, die Authentizität und die Gültigkeit der Identitätsdaten zu überprüfen.
Im Gegensatz zu heute verbreiteten Identitätslösungen zum Beispiel von international tätigen Plattformanbietern, deren Geschäftsmodelle in erster Linie auf der umfangreichen Sammlung und Auswertung personenbezogener Daten bestehen, haben Identitätsanbieter beim SSI-Konzept aufgrund der dezentralen Speicherung der Informationen weder einen Einblick in die Daten noch können sie nachvollziehen, zu welchen Zwecken diese Daten genutzt werden. Mit dem Konzept Selbstsouveräner Digitaler Identitäten wird deshalb vor allem das Ziel verfolgt, die Datensouveränität der Identitätsinhaber in der digitalen Welt zu erhöhen.
Solche SSI-Identitätskonzepte werden auf Basis von offenen Standards und interoperablen Protokollen bereits von einer Vielzahl von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren entwickelt. Ziel verschiedener politischer und privatwirtschaftlicher Initiativen ist es, ein europaweites bzw. im besten Fall internationales interoperables Identitäts-Ökosystem aufzubauen, das dem Einzelnen auf Basis Selbstsouveräner Digitaler Identitäten eine hohe Datensouveränität in der digitalen Welt ermöglicht. Abhängigkeiten von einzelnen Identitätsanbietern sollen dabei aufgrund der Nutzung offener Standards und interoperabler Protokolle nicht entstehen. Das Konzept Selbstsouveräner Digitaler Identitäten ist darüber hinaus nicht beschränkt auf Privatpersonen. Zukünftig sollen auch Unternehmen und über das Internet miteinander vernetzten Maschinen und Geräten digitale Identitäten auf Basis des Self-Sovereign-Identity-Ansatzes zugewiesen werden können, um in der digitalen Welt sicher miteinander interagieren zu können.
Weiterführende Informationen zu Selbstsouveränen Digitalen Identitäten
Eine Vielzahl von öffentlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren befasst sich auch international mittlerweile intensiv mit dem Konzept sicherer digitaler Identitäten. Auch auf höchster politischer Ebene wird dieses Thema diskutiert. So hat das Bundeskanzleramt im März 2021 ein Whitepaper zu Digitalen Identitäten veröffentlicht.
Weiterführende Informationen zum Konzept Selbstsouveräner Digitaler Identitäten finden sich auch zum Beispiel:
- im Fraunhofer Whitepaper zum SSI-Konzept,
- in einem Report des EU Blockchain Observatory and Forum,
- in einem Positionspapier des Blockchain Bundesverbands zu blockchainbasierten Self Sovereign Identities,
- im Leitfaden des Digitalverbands Bitkom zu möglichen Anwendungsfällen Selbstsouveräner Digitaler Identitäten sowie
- in einem Eckpunktepapier zu Self-sovereign Identities des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat im Zusammenhang mit der Entwicklung sicherer digitaler Identitäten den Innovationswettbewerb „Schaufenster Sichere Digitale Identitäten“ ins Leben gerufen, mit dem innovative Ansätze für neue, offene, interoperable und einfach nutzbare ID-Ökosysteme gefördert werden.
Blockchainbasierte Verwaltungsdienste
In der öffentlichen Verwaltung kann die Blockchain-Technologie zum einen dazu genutzt werden, um auf Basis der oben beschriebenen Selbstsouveränen Digitalen Identitäten eine direkte Interaktion zwischen der Verwaltung und Bürgern (bzw. Unternehmen) zu ermöglichen und so eine Reihe von Verwaltungsdiensten digital abzubilden. Denkbar und zum Teil auch bereits in der Entwicklung sind Blockchain-Anwendungen, mit deren Hilfe offizielle Dokumente wie Ausweise, Führerscheine oder Bildungsabschlüsse verwaltet werden. Der wesentliche Mehrwert der Blockchain-Technologie besteht hier darin, dass die jeweiligen Aussteller, die Authentizität und die Gültigkeit der Dokumente zweifelsfrei nachgewiesen werden können. Auch ein späterer Widerruf, ein Ablaufdatum oder eine Korrektur von Dokumenten können in der Blockchain manipulationssicher hinterlegt werden.
Ein weiterer denkbarer Anwendungsbereich für die Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung besteht darin, öffentliche Register (Handelsregister, Genossenschaftsregister, Grundbuch etc.) blockchainbasiert zu verwalten. Diese Überlegungen sind deshalb naheliegend, weil die Blockchain-Technologie aufgrund ihrer transparenten und nachvollziehbaren Dokumentation von Transaktionen und ihrer hohen Manipulationssicherheit einer öffentlichen Registerführung ähnelt. Blockchain-Lösungen kommen hier sowohl für gänzlich neue als auch für bereits bestehende, aber noch nicht digitalisierte Register in Betracht.
Behördenübergreifender Informationsaustausch auf Basis der Blockchain-Technologie
Ein weiterer potenzieller Anwendungsbereich der Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung ist die Koordination behördenübergreifender Verwaltungsvorgänge. Die wesentlichen Mehrwerte der Blockchain-Technologie sind auch hier, dass manipulationssicher und zeitnah Informationen zwischen den jeweils an einem Verwaltungsvorgang beteiligten Behörden ausgetauscht werden können und so ein einheitlicher Informationsstand der beteiligten Behörden erreicht werden kann. Darüber hinaus können die jeweiligen Einsichtsrechte an Dokumenten oder Daten individuell konfiguriert werden, sodass jede Behörde nur Einblick in die Informationen erhält, die zu ihrer Aufgabenerledigung erforderlich sind.
Die Tatsache, dass bei der behördenübergreifenden Koordination von Verwaltungsvorgängen über die Blockchain-Technologie eine Vielzahl von Daten nicht in die Blockchain eingespeist werden müssen, sondern in ihren Bestandssystemen verbleiben können, trägt dazu bei, den Schutz sensibler Informationen wie personenbezogener Daten gewährleisten zu können. Durch die Automatisierung von Verwaltungsprozessen könnten außerdem Effizienzgewinne in der Verwaltung erzielt werden. Auf Basis von Smart Contracts könnten zum Beispiel automatisiert Zahlungen veranlasst oder Folgeprozesse bei anderen Behörden, die an Verwaltungsvorgängen beteiligt sind, initiiert werden, sobald die jeweiligen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Durch die automatisierte und damit weniger fehleranfällige Übertragung von Informationen könnten zudem die Prozessintegrität erhöht und Prozessabläufe beschleunigt werden, weil ineffiziente Wartezeiten zwischen einzelnen Teilprozessen, an denen verschiedene Behörden beteiligt sind, wegfallen oder verkürzt werden.
Ein Beispiel einer solchen behördenübergreifenden Blockchain-Kooperation ist das Projekt FLORA des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, bei dem Informationen zwischen verschiedenen am Asylprozess beteiligten Behörden über eine Blockchain-Lösung ausgetauscht werden.
Bereitstellung Öffentlicher Blockchain-Infrastrukturen
Ein wesentlicher Ansatz, um die Mehrwerte der Blockchain-Technologie für die öffentliche Verwaltung auch flächendeckend zu realisieren, besteht im Aufbau öffentlicher Blockchain-Infrastrukturen. Die Idee hinter diesem Ansatz ist, dass die öffentliche Hand standardisierte Blockchain-Infrastrukturen entwickelt, auf deren Basis öffentliche Einrichtungen konkrete Blockchain-Anwendungen implementieren können. Öffentliche Einrichtungen brauchen dann nicht selbst in den Aufbau, den Betrieb und die Weiterentwicklung von Blockchain-Infrastrukturen zu investieren und können ihre Blockchain-Anwendungen relativ schnell über die zur Verfügung gestellte Infrastruktur implementieren. Allerdings sind mit dem Aufbau solcher öffentlichen Blockchain-Infrastrukturen in rechtlicher, technischer und organisatorischer Hinsicht auch eine Vielzahl von komplexen Herausforderungen verbunden.
Mit dem Themenbereich Blockchain in der Verwaltung hat sich in Deutschland zum Beispiel das NExT-Netzwerk („NExT“ = "Netzwerk: Experten für die digitale Transformation der Verwaltung") in Zusammenarbeit mit der Initiative „Blockchain in der Verwaltung Deutschland“, der u. a. die Bundesnotarkammer, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und das Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen angehören, beschäftigt.
In diesem Whitepaper des NExT-Netzwerks werden Anwendungsbereiche und Herausforderungen der Blockchain-Technologie in der Verwaltung erläutert.
Weitere Informationen zur Blockchain-Technologie im öffentlichen Sektor finden sich im Dokument „Mythos Blockchain - Herausforderung für den öffentlichen Sektor", das vom Kompetenzzentrum Öffentliche IT (ÖFIT) in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Offene Kommunikationssysteme (FOKUS) erarbeitet wurde.
Von der govdigital e.G., einer Ende 2019 gegründeten Genossenschaft zur Integration innovativer IT-Lösungen im öffentlichen Sektor, wird bereits eine öffentliche Blockchain-Infrastruktur in Deutschland betrieben. Sie kann sowohl von kommunalen als auch von Landes- und Bundesbehörden für eigene Blockchain-Anwendungen genutzt werden.
Im Rahmen der European Blockchain Partnership wird derzeit auf europäischer Ebene eine europaweite Blockchain-Infrastruktur entwickelt (die sog. „European Blockchain Services Infrastructure“, kurz EBSI), auf deren Basis zukünftig eine Vielzahl von Verwaltungsdiensten sowohl für Bürger und Unternehmen als auch für die Koordination von Verwaltungsvorgängen zwischen Behörden angeboten werden sollen. Im Rahmen dieses Projekts werden u. a. auch standardisierte, interoperable Identitätslösungen auf Blockchain-Basis im Rahmen des „European Self-Sovereign Identity Framework" (ESSIF) entwickelt.
Besonderheiten der Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung
In der öffentlichen Verwaltung in Deutschland sind gemeinsame Datenschnittstellen und die digitale Koordination von behördenübergreifenden Verwaltungsvorgängen bisher noch recht wenig ausgeprägt. An dieser Stelle setzt die Blockchain-Technologie an. Sie kann einen Beitrag dazu leisten, dezentrale IT-Infrastrukturen aufzubauen, die den Betroffenen eine hohe Souveränität über ihre Daten einräumen und die zugleich eine effiziente behördenübergreifende Koordination von Verwaltungsprozessen ermöglichen.
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung muss besonderer Wert auf die Authentizität und die Sicherheit der zu verarbeitenden Daten gelegt werden. Betroffene müssen hier in besondere Weise darauf vertrauen können, dass ihre Daten nur von den jeweils Berechtigten eingesehen und nur für die jeweils vorgesehenen Verwendungszwecke verarbeitet werden können. Der oben beschriebene Self-Sovereign-Identity-Ansatz kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Die relevanten Stammdaten von Bürgern und Unternehmen müssen nach diesem Konzept nur noch einmal erhoben werden und können anschließend von den Datenberechtigten sicher und transparent nur denjenigen Behörden zur Verfügung gestellt werden, die sie für ihre konkrete Aufgabenerledigung benötigen. Die häufige Neuerfassung dieser Stammdaten und deren parallele Speicherung bei unterschiedlichen Behörden entfällt. Die behördenübergreifende Koordination von Verwaltungsprozessen kann zugleich verbessert werden, weil auf Basis der Blockchain-Technologie ein standardisierter und sicherer Austausch von Daten ermöglicht werden kann. Die jeweiligen Zugriffsrechte auf diese Daten können hierbei individuell konfiguriert und deren Einsichtnahme bzw. Verarbeitung manipulationssicher festgehalten werden. Um eine hohe Akzeptanz blockchainbasierter Verwaltungsdienste zu erreichen ist es außerdem wichtig, dass diese Dienste einfach und intuitiv zu bedienen sind und keine Blockchain-Kenntnisse des Anwenders voraussetzen.
Im Vergleich zu anderen potenziellen Anwendungsbereichen der Blockchain-Technologie (z. B. in kritischen Infrastrukturen wie dem Energie-, dem Telekommunikations- oder dem Finanzsektor) sind Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung vermutlich in der Regel deutlich weniger zeitkritisch. Insofern besteht die Herausforderung bei der Entwicklung konkreter Anwendungen in der öffentlichen Verwaltung weniger in der Erhöhung der Transaktionsgeschwindigkeit, sondern eher in der Verbesserung behördenübergreifender Datenaustausche sowie der Schaffung von Vertrauen durch Transparenz und Sicherheit der verarbeiteten Informationen.
Eine weitere Besonderheit beim Einsatz der Blockchain-Technologie in der öffentlichen Verwaltung ist außerdem, dass der Versuch, mit Hilfe der Blockchain-Technologie klassische Intermediäre ganz oder teilweise zu ersetzen, im öffentlichen Sektor keine bedeutende Rolle spielen dürfte. Diese sog. Disintermediation ist bereits seit der Entwicklung der ersten Blockchain-Anwendungen vor mehr als zehn Jahren eine wesentliche Motivation für den Einsatz der Blockchain-Technologie gewesen und wird in vielen Wirtschaftsbereichen wie dem Finanzsektor (z. B. bei Peer-to-Peer Zahlungsprozessen) oder dem Energiesektor (z. B. bei Peer-to-Peer Stromhandelsmodellen) weiterhin intensiv diskutiert. In der öffentlichen Verwaltung geht es aber nicht darum, klassische Intermediäre mit Hilfe digitaler Technologien zu ersetzen, sondern vielmehr darum, bestehe Verwaltungsdienste entweder auf Basis der Blockchain-Technologie erstmals zu digitalisieren oder bereits digitale Verwaltungsdienste effizienter zu organisieren.