Ver­mie­de­ne Netzent­gel­te

Worum geht es bei „vermiedenen Netzentgelten“?


Vermiedene Netzentgelte werden dezentralen Erzeugern gezahlt, die unterhalb der Höchstspannungsebene (220/380 kV) Strom in das Netz der allgemeinen Versorgung einspeisen. Dezentrale Erzeugungsanlagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie

  1. im Gegensatz zu den klassischen Großkraftwerken nicht in der Höchstspannungsebene angeschlossen sind, sondern in den unteren Spannungsebenen der Verteilnetzbetreiber.
  2. in der Regel kleiner dimensioniert sind und die Elektrizität zu höheren Kosten als Großkraftwerke in der Höchstspannung erzeugen.

Die vermiedenen Netzentgelte werden grundsätzlich durch den Verteilnetzbetreiber an die Anlagenbetreiber ausgezahlt. Durch die dezentrale Einspeisung wird energiewirtschaftlich die Netznutzung gegenüber der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene vermieden, d.h. Kosten für die Nutzung der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene werden erspart. Der Anschluss-VNB darf die Kosten für vermiedene Netzentgelte auf seine Netznutzer umlegen.

Maßgeblich für die Ermittlung des Entgelts für dezentrale Einspeisung sind demnach die Vermeidungsarbeit (kWh), die Vermeidungsleistung (kW) und die entsprechenden Netzentgelte der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene (als Arbeits- und Leistungspreis). Hierbei kommt seit 2018 ein sogenanntes Referenzpreisblatt zur Anwendung, dass für die Ermittlung der vermiedenen Netzentgelte verwendet wird (s.u. NEMoG).

Konzept vermiedene Netzentgelte

Das Konzept der vermiedenen Netzentgelte entstand vor 2005 in der Verbändevereinbarung II / II+: Nachgelagert angeschlossene Kraftwerke seien in der Regel kleiner dimensioniert und erzeugten somit den Strom zu höheren Kosten als Großkraftwerke in der Höchstspannung. Die Kraftwerke konkurrierten an der Strombörse anhand des Strompreises. Der Standortvorteil durch lastnahe Erzeugung gegenüber Großkraftwerken würde hierbei nicht berücksichtigt, weil er sich betriebswirtschaftlich für das Kraftwerk nicht ausreichend auswirke. Vorteile dieser nachgelagerten Einspeisung seien insbesondere die Vermeidung von Transformationsverlusten und Übertragungsverlusten durch Hochspannungsleitungen. Mit Hilfe der Zahlung der vermiedenen Netzentgelte an das nachgelagerte Kraftwerk solle dieser Unterschied ausgeglichen und das nachgelagerte Kraftwerk konkurrenzfähig gemacht werden.

Beibehaltung vermiedene Netzentgelte

Die Beibehaltung der vermiedenen Netzentgelte in der Entgeltstruktur des EnWG-2005 beruhte auf zwei Argumentationen:

  • Netzkosten (Infrastrukturkosten) der vorgelagerten Netzebene würden durch dezentrale Einspeisung tatsächlich vermieden, weil der dezentral entnommene Strom nicht transportiert werden muss.
  • Die Flussrichtung des Stroms erfolgte immer aus der höheren in die darunterliegenden Spannungsebenen.

Da die tatsächliche Vermeidung von Netzkosten individuell praktisch kaum zu ermitteln ist, sieht § 18 StromNEV eine pauschale Ermittlung und Vergütung der dezentralen Einspeisung durch sog. „vermiedene Netzentgelte“ vor. Die Höhe des Entgeltes entspricht einfach dem Preisblatt für Arbeit und Leistung (größer Knickpunkt gem. § 16 und Anlage 4 StromNEV) der vorgelagerten Netzebene. Durch die nachgelagerte Einspeisung wird nachvollziehbar aus dem vorgelagerten Netz weniger Energie entnommen, sodass der Verteilernetzbetreiber weniger Netzentgelte an die vorgelagerten Netzbetreiber zahlen muss.

So nehmen Verteilernetzbetreiber gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. § 11 Abs. 2 Nr. 8 ARegV eine Anpassung der Erlösobergrenze u.a. aufgrund der Berücksichtigung der Kosten für dezentrale Einspeisung im Sinne von § 18 StromNEV vor. Diese Kosten sind sogenannte „vermiedene Netzentgelte“.

Häufige Fragen

Aktuelle Anwendungsfragen werden hier in den FAQ aufgezeigt.

1. Problematik bei der Bestimmung vermiedenen Netzentgelte bei Rückspeisung in vorgelagerte Spannungsebene

Kommt es in einem Verteilernetz zeitpunktbezogen zu mehr dezentraler Einspeisung als Last, kommt es zu Rückspeisungen in die vorgelagerte Netzebene. Angesichts der Abschaffung der vNE für volatile Einspeisungen bleibt die Frage der Bewertung von Rückspeisungen von nachgelagerten an vorgelagerte Netzbetreiber offen. Denn in diesen Fällen erhält der nachgelagerte Netzbetreiber auch „vermiedene Netzentgelte“ für die Rückspeisung vom vorgelagerten Netzbetreiber. Die Beschlusskammer vertritt dazu folgende Auffassung:

„Die Rückspeisung aus nachgelagerten Netzen ist gem. § 18 Abs. 1 Satz 5 StromNEV wie eine volatile Einspeisung zu behandeln und demnach ab dem 01.01.2020 auch nicht mehr zu vergüten, es sei denn, es ist nachweisbar durch eine konventionelle Erzeugungsanlage verursacht“.

Detaillierte Erkenntnisse liegen zu dieser im Einzelfall tatsächlich schwierigen Abgrenzungsfrage nicht vor. Ist eine Rückspeisung ganz oder teilweise durch volatile oder doch durch konventionelle Anlagen veranlasst? Es hat auf diesen Hinweis der Bundesnetzagentur aber auch keine negativen Reaktionen der Netzbetreiber gegeben.

2. Problematik bei der Umsetzung der Deckelung nach Netzübergängen oder unterschiedlichen Höchstpreisen

Die veröffentlichten Referenzpreise stellen seit 2018 eine Obergrenze für die Höhe der vermiedenen Netzentgelte pro kW Vermeidungsleistung bzw. kWh Vermeidungsarbeit dar. Sind die aktuellen Netzentgelte niedriger als die Netzentgelte des Referenzpreisblattes, so kommen die niedrigeren Netzentgelte als Basis zur Berechnung der vermiedenen Netzentgelte zur Anwendung.

Eine gewisse Unklarheit, welches Referenzpreisblatt zur Anwendung kommt, könnte die Regelung in § 120 Abs. 6 EnWG erzeugen, die den Fall von Teilnetzübergängen adressiert, wie sie nach Konzessionswechseln nach § 46 EnWG regelmäßig vorkommen.

Im Rahmen von Netzübergängen sind für die Höhe der Obergrenze die Netzentgelte des Netzbetreibers maßgebend, an dessen Netz der Anlagenbetreiber am 31. Dezember 2016 angeschlossen war. Deshalb gilt die Obergrenze gemäß Wortlaut des § 120 Abs. 6 EnWG auch bei einem Netzbetreiberwechsel anlagenspezifisch weiter.

Falls es also einen Netzübergang von Netzbetreiber A zu B gibt, so ist Netzbetreiber B nach dem Wortlaut des § 120 Abs. 6 EnWG gegenüber den im übergehenden Netzteil angeschlossenen dezentralen Anlagenbetreibern zu einer Sonderregelung verpflichtet. Ihnen gegenüber darf Netzbetreiber B die vermiedenen Netzentgelte nicht auf Basis seines eigenen Referenzpreisblattes berechnen, sondern muss das Referenzpreisblatt des Netzbetreibers A als Obergrenze heranziehen.

3. Entwicklung der Kosten

Die nachfolgende Tabelle stellt die vermiedenen Netzentgelte je Netz- und Umspannebene differenziert dar. In dieser Tabelle ist die Summe der vermiedenen Netzentgelte der Werte für die Netzbetreiber in Zuständigkeit der Bundesnetzagentur inklusive der Netzbetreiber aus der Organleihe berücksichtigt. Während für die Jahre 2011 bis 2018 auf die Istwerte aus dem Regulierungskonto zurückgegriffen werden konnte, wurden für das Jahr 2019 und 2021 die Planwerte aus der Anpassung der Erlösobergrenze herangezogen. Aus der Tabelle wird deutlich, dass die Summe der vermiedenen Netzentgelte bis 2018 kontinuierlich angestiegen ist. Durch die Maßnahmen des Netzentgeltmodernierungsgesetzes sind sie nunmehr gefallen. Mit dem Jahr 2020 ist die Förderung volatiler Anlagen ausgelaufen, so das davon auszugehen ist, dass die Kosten des Jahres 2020 nicht weiter sinken werden.

Die Entwicklung der vermiedenen Netzentgelte ist in der folgenden Tabelle dargestellt:

Vermiedene Netzentgelte je Netz- und Umspannebene in Mio EUR
Netz- und
Umspannebene
2014
Ist-Werte
2015
Ist-Werte
2016
Ist-Werte
2017
Ist-Werte
2018
Ist-Werte
2019
Plan-Werte
2020
Plan-Werte
2021
Plan-Werte
HöS / HS9241644322
HS6506408751.321601627557576
HS/MS849211114078705957
MS551594662798524412343350
MS/NS3836504538342122
NS160420168206117894640
Gesamt1.4921.7851.8702.5261.3621.2361.0291.066

Höhe der vermiedenen Netzentgelte (ausgezahlt durch Netzbetreiber in Bundeszuständigkeit) in Millionen Euro je Jahr 1

1Aufgrund der Beendigung der Verwaltungsabkommen sind die Werte der Netzbetreiber in Landeszuständigkeit von Mecklenburg-Vorpommern ab dem Jahr 2016 und die Werte der Netzbetreiber in Landeszuständigkeit von Thüringen ab dem Jahr 2020 nicht mehr enthalten. Zahlen aus den Landesregulierungsbehörden liegen nicht aktuell vor.

4. Netzentgeltmodernisierungsgesetz

Beide oben genannten Argumentationen sind im gegenwärtigen System zunehmend nicht mehr gegeben. Diese Erkenntnis führte zu einer Neuregelung des § 18 StromNEV im Rahmen des Netzentgeltmodernisierungsgesetzes im Jahr 2017.2

In der Folge des Netzentgeltmodernisierungsgesetztes wurden die vermiedenen Netzentgelte für volatile Einspeiser schrittweise abgeschafft. Seit 1. Januar 2020 werden keine vermiedenen Netzentgelte für oder an volatile Einspeiser ausgezahlt.

Vermiedene Netzentgelte entfallen zudem für jegliche Anlagen, die nach dem 1. Januar 2023 in Betrieb genommen werden. Diejenigen nicht-volatilen dezentralen Einspeiser, die vor dem 1. Januar 2023 in Betrieb gehen, erhalten für die gesamte Laufzeit der Erzeugungsanlage vermiedene Netzentgelte.

Ab dem Jahr 2018 sind bei der Berechnung der vermiedenen Netzentgelte die Entgelte der vorgelagerten Netzebene des jeweiligen Jahres und des Jahres 2016 (dem sog. Referenzpreisblatt) zu betrachten. Sollten die bereinigten Entgelte der vorgelagerten Netzebene im Referenzpreisblattes aus dem Jahr 2016 geringer gewesen sein als im jeweiligen betrachteten Jahr, so müssen die Entgelte des Jahres 2016 zur Kalkulation der vermiedenen Netzentgelte verwendet werden.3

Stieg in den Jahren vor der Einführung des NEMoG die Höhe der ausgezahlten vermiedenen Netzentgelte stetig an und erreichte im Jahr 2017 mit 2,5 Mrd. € ihren Höchstwert4 , so reduzierte die Wirkung des NEMoG die ausgezahlten vermiedenen Netzentgelte im Jahr 2018 auf 1,3 Mrd. €. Im Jahr 2019 sanken die Plan-Kosten auf eine Höhe von 1,2 Mrd. €, wovon noch 0,2 Mrd. € auf volatile EE-Anlagen entfielen.

2 Netzentgeltmodernisierungsgesetz vom 17.07.2017, BGBl I S. 2503; die BT-Drs. 18/11528 vom 15.03.2017 enthält den Gesetzentwurf der Bundesregierung mit Begründung, Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung
3 Die Vorgehensweise zur Berechnung der Referenzpreisblätter wird detailliert von Bourwieg und Brockmeier in ER 6/2017, Seite 236 f. beschrieben.
4 Die Werte beziehen sich jeweils auf die Netzbetreiber in Bundeszuständigkeit. Die vermiedenen Netzentgelte, die die Netzbetreiber in Landeszuständigkeit auszahlen, werden der Bundesnetzagentur nicht gemeldet und können entsprechend nicht berücksichtigt werden.

5. Entscheidungspraxis

Diverse Einzelfragen zu den vNE waren Gegenstand von behördlichen Verfahren und Entscheidungen des Bundesgerichtshofs:

1. BGH, Urteil vom 14.11.2017, Az.: EnVR 41/16 Rechtsstreitigkeiten zu Netzreservekapazität
In diesem Verfahren ging es um die Inanspruchnahme von sog. Netzreservekapazität durch ein dezentrales Kraftwerk zur Absicherung der vermiedenen Netzentgelte.

Bei der Netzreservekapazität (manchmal auch als Reservenetzkapazität bezeichnet) handelt es sich um einen überkommenen besonderen Preisbestandteil aus der Zeit vor 2005 im Zusammenhang mit der Netznutzung. Die Bestellung von Netzreservekapazität hat zur Folge, dass hohe Leistungswerte, die sich beim vorübergehenden Ausfall oder der Wartung an einer dezentralen Erzeugungsanlage einstellen, bei der Bezahlung der vorgelagerten Netzebene nicht berücksichtigt werden, sofern die Ausfallzeit einen bestimmten Höchstwert pro Jahr nicht übersteigt (bis zu 600 h). Im Gegenzug hat der Besteller ein festes Entgelt zu zahlen, eine Art "Versicherungsprämie".

Der Bundesgerichtshof entschied in einem Urteil, die Abrechnung der vermiedenen Netzentgelte einer Anlage gegenüber dem vorgelagerten Netzbetreiber unter Berücksichtigung der „Netzreservekapazität“ zuzulassen5. Das bedeutet, dass die vergütete Vermeidungsleistung einer Anlage für Abrechnungszwecke erhöht wird, nämlich unter Auslassung der Stunden, die über die Netzreservekapazität wirtschaftlich abgesichert werden. Die Netzreservekapazität wirkt wie eine Versicherung bei Nichtbetrieb des Kraftwerks zum Zeitpunkt der tatsächlichen Jahreshöchstlast des Anschlussnetzes. Zugleich hat der Bundesgerichtshof in dem Urteil konsequent festgehalten, dass in diesen Fällen das Entgelt nach § 18 StromNEV gegenüber dem Betreiber der dezentralen Erzeugungsanlage um die Kosten zu verringern ist, die für die Bestellung der Reservenetzkapazität anfallen; diese dürfen nicht vom Netzkunden getragen werden. Die „Versicherungsprämie“ muss in diesem Fall der Kraftwerksbetreiber tragen, nicht die übrigen Netzkunden.

2. BGH, Urteil vom 27.10.2020, Az.: EnVR 70/19 – vermiedene Netzentgelte im Fall eines Großkraftwerks 6
Am 16. Mai 2018 hat die Bundesnetzagentur in einem besonderen Missbrauchsverfahren den Fall entschieden, dass ein Großkraftwerk durch nachträgliche technische Umrüstung einen Teil seiner Leistung auch in die nachgelagerte Netzebene einspeisen kann und dafür vermiedene Netzentgelte geltend macht6. In dem Verfahren stritten ein überregionaler Kraftwerksbetreiber mit einem großen Verteilernetzbetreiber über das Bestehen eines Anspruchs auf vermiedene Netzentgelte für ein 800 MW Steinkohlekraftwerk. Der Kraftwerksbetreiber sah durch einen zusätzlichen Anschluss des Kraftwerks an die 110kV Ebene die Tatbestandsvoraussetzungen als erfüllt an. Der Netzbetreiber verweigert nach Auffassung der Bundesnetzagentur zu Recht die Zahlung vermiedener Netzentgelte, da es sich bei dieser Form und im konkreten Fall nicht um eine Einspeisung einer „dezentralen Erzeugungsanlage“ handelt und die Voraussetzungen des § 18 StromNEV nicht vorlägen. Der BGH bestätigte die Entscheidung der Bundesnetzagentur.

3. BGH, Urteil vom 20.06.2017, Az.: EnVR 44/16 Rechtsstreitigkeiten zu vorgelagerter Netz- oder Umspannebene
Mit dem Begriff des „vorgelagerten Netzes“ in § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV kann in bestimmten Ausnahmefällen auch eine mit der Einspeiseebene identische Netzebene gemeint sein. Der Bundesgerichtshof hat gegen die Bundesnetzagentur entschieden, dass die Behandlung von Entgelten für die dezentrale Einspeisung in dem Sonderfall, dass zwischen dem Netz, in welches dezentral eingespeist wird, und der nächsthöheren Spannungsebene ein weiteres Netz auf der gleichen Ebene wie das Einspeisenetz liegt, auch das (höhere) Preisblatt der Netzentgelte gleicher Spannungsebene für die vermiedenen Netzentgelte zu Grunde zu legen ist. Streitig war, wie der Begriff der vorgelagerten Netz- oder Umspannebene im Sinne des § 18 Abs. 1 Satz 2 StromNEV einzuordnen ist und nach dem Preisblatt welcher Ebene dementsprechend die Entgelte zu berechnen sind.

4. BGH, Urteil vom 27.02.2018, Az. EnVR 1/17 - Keine Vermeidungssituation in Höchstspannungsnetzen
Einige wenige Verteilernetzbetreiber betreiben lokale Höchstspannungsnetze, in die Erzeugungsanlagen einspeisen. Diese besondere Einspeisesituation wurde teilweise von Seite des Anschlussnetzbetreibers mit dem Entgelt der Höchstspannungsebene des ÜNB bewertet und es werden dem Anlagenbetreiber die entsprechenden vermiedenen Netzentgelte vergütet.

Gemäß § 18 StromNEV setzt jedenfalls voraus, dass die Anlage in ein Verteilernetz einspeist. Die Höchstspannungsebene ist nach ihrer gesetzlichen Definition Transportnetz, die Einspeisung einer dezentralen Erzeugungsanlage erfolgt nie in ein Übertragungsnetz und führt demnach nicht zu vermiedenen Netzentgelten.

5 Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.11.2017, Az.: EnVR 41/16.
6 Az.: BK8-17-3764-01-M, hier abrufbar

6. Allgemeine Kritik an der Regelung

1. Keine Kostenvermeidung
Das Konzept der vermiedenen Netzentgelte geht davon aus, dass durch die dezentrale Einspeisung die Entnahme aus dem vorgelagerten Netz und damit dessen Inanspruchnahme vermindert wird und somit mittel- bis langfristig Netzinfrastrukturkosten eingespart werden. Die so verursachte Ersparnis sollen die Betreiber der dezentralen Erzeugungsanlagen als Entgelt erhalten. Dabei wird das ansonsten zu zahlenden Entgelt des vorgelagerten Netzbetreibers hilfsweise zur Bemessung herangezogen, da der tatsächliche Vermeidungsbeitrag nicht ermittelbar ist.

Die Einführung des Prinzips der vermiedenen Netzentgelte beruhte auch auf der Erfahrung, dass die Flussrichtung des Stromes von der höchsten zur niedrigsten Spannungsebene erfolgt.
Diese Grundannahmen der vermiedenen Netzentgelte - mittel- bis langfristig würde die dezentrale Einspeisung zu einer Reduzierung der Netzausbaumaßnahmen führen – stammt aus der Zeit der Jahrtausendwende.

Daran gab es immer wieder Kritik und die Bundesnetzagentur hat die Zäsur des NEMoG zum Anlass genommen, die Instrumente der Begleitung von Netzausbau, namentlich den NEP, die Investitionsberichte nach § 14 und die Anträge auf Investitionsmaßnahmen nach § 23 ARegV auf diese Grundannahme hin zu betrachten.

Es zeigt sich bei der kursorischen Auswertung, dass im Regelfall das Netz so dimensioniert wird, dass die Jahreshöchstlast des Elektrizitätsbezugs allein durch den Bezug aus dem vorgelagerten Übertragungsnetz erfüllt werden kann. Hierbei wird die dezentrale Einspeisung nicht berücksichtigt.

Wenn fossile Kraftwerke mit hoher Leistung neu an das Verteilernetz angeschlossen werden, geht dieser Ausbau in der Regel mit einem notwendigen Ausbau des Verteilernetzes einher. Dieser Ausbau wird von den Verteilernetzbetreibern gegenüber der Bundesnetzagentur angezeigt und beträgt regelmäßig für ein neu angeschlossenes fossiles Kraftwerk zweistellige Millionenbeträge. Ein Ausbau der Netzinfrastruktur ist dann nicht notwendig, wenn die neuen Kraftwerke auf den Standorten alter Kraftwerke gebaut werden, die vorab stillgelegt wurden und falls die neue installierte Leistung die vorherige installierte Leistung nicht signifikant übersteigt

2. Sorge vor allokativen Fehlanreizen

Da in der Vergangenheit durch steigende Netzentgelte immer auch die vermiedenen Netzentgelte stiegen, gab es die Sorge für die Vermutung, dass aufgrund der wirtschaftlichen Anreize durch vermiedene Netzentgelte in Regionen mit besonders hohen Netzentgelten vermehrt dezentrale Anlagen errichtet würden. Dies hätte gerade Regionen mit besonders hohen Einspeisungen aus erneuerbaren Energien betroffen. Somit wäre die Ansiedlung weiterer Anlagen konventioneller Art in diesen Regionen als allokativer Fehlanreiz zu bewerten.

Diese Vermutung konnte allerdings anlässlich der Bewertung im Jahr 2020 mit den vorliegenden Daten nicht verifiziert werden.

Seit dem Jahr 2015 wurden in den neuen Bundesländern und den norddeutschen Bundesländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein – also denjenigen Bundesländern, in denen die Auszahlung an vermiedenen Netzentgelten je kW bzw. kWh am höchsten ist - lediglich 11 neue dezentrale Kraftwerke mit einer Nennleistung ab 10 MW in Betrieb genommen. Entsprechend führte weder der Anstieg der ausgezahlten Höhe für vermiedenen Netzentgelte, die bis zur Einführung des NEMoG dem starken Anstieg der allgemeinen Netzentgelte folgten, noch das absehbare Auslaufen des Instituts der vermiedenen Netzentgelte für Neuanlagen, zu einer vermehrten Inbetriebnahme von konventionellen dezentralen Stromerzeugungsanlagen.

Daraus wird vorliegend geschlossen, dass die Höhe der vermiedenen Netzentgelte für Kraftwerksbetreiber nicht investitionsleitend ist. Sie ist auch nicht sicher planbar. Insbesondere die vermiedenen Netzentgelte für Vermeidungsleistung, also die Leistung, die die dezentralen Erzeugungsanlagen zum Zeitpunkt der Jahreshöchstlast einspeisen, ist für die Anlagenbetreiber nicht genau bestimmbar oder im Dispatch planbar. Gleichzeitig macht die Vermeidungsleistung den Großteil der vermiedenen Netzentgelte in der Hochspannungs- und Mittelspannungsebene aus. Beispielsweise zahlten die Verteilnetzbetreiber in Bundeszuständigkeit im Jahr 2018 dezentralen Einspeisern in der Hochspannung 493 Mio. Euro für Vermeidungsleistung, aber nur 109 Mio. Euro für Vermeidungsarbeit aus.

Entsprechend kann festgehalten werden, dass die Auszahlung vermiedener Netzentgelte für die Anlagenbetreiber offenbar keinen eigenen Investitionsanreiz darstellt. Sie scheint im Ergebnis (und richtigerweise) nicht für die Investitionskalkulation eines Kraftwerks ausschlaggebend zu sein. Die Zahlungen stellen also vielfach keine planbare Einnahme dar, sondern haben den Charakter einer zufälligen Gratifikation für die Anlage ohne einen energiewirtschaftlichen Effekt.

7. Prognose der weiteren Kostenentwicklung bei den vermiedenen Netzentgelten

Nicht-volatile Anlagen die vor dem 01.01.2023 in Betrieb gehen, werden weiterhin vergütet. Primär sind dies folgende Brennstoffe:

Energieträger nicht-volatiler Kraftwerke unterhalb der HöS

  • Abfall
  • Batterie-Speicherkraftwerk
  • Biomasse
  • Braunkohle
  • Deponiegas
  • Erdgas
  • Geothermie
  • Grubengas
  • Klärgas
  • Laufwasser
  • Mineralölprodukte
  • Speicherwasser
  • Steinkohle

Für die Frage der Be- und Entlastung von Verbrauchern durch vermiedene Netzentgelte sind zwei Situationen zu unterscheiden:

  1. Durch die fehlende Steuerbarkeit wird nachweislich kein Netzausbau und somit keine Netzkosten eingespart (s.o. 4.). Die fehlende Steuerbarkeit ist entweder

    a) tatsächlich begründet – Erneuerbare Energieerzeugung erfolgt dargebotsabhängig und nicht netzorientiert

    b) rechtlich begründet – eine Vereinbarung der Anlage mit dem Netzbetreiber, gesichert zum Zeitpunkt der Jahreshöchstlast einzuspeisen ist keine Voraussetzung der Auszahlung von vermiedenen Netzentgelten. Das Gegenteil ist der Fall (siehe oben 5.1 zu Netzreservekapazität). Dies geschieht quasi zufällig oder durch den Anlagenbetreiber wirtschaftlich optimiert.

    c) nicht nachhaltig – Stromnetzbetrieb ist dauerhaft angelegt, Netzausbau dauert gerade in höheren Spannungsebenen oftmals länger als 5 Jahre, die wirtschaftlichen Nutzungsdauern liegen deutlich über 20 Jahren. Eine entsprechende Zusage der dauerhaften Verfügbarkeit eine Erzeugungsanlage kann daher kein Anlagenbetreiber gegenüber dem Netzbetreiber abgeben. Demnach wird das Netz aus wirtschaftlichen Gründen und Gründen der Versorgungssicherheit immer auf die vollständige Entnahme aus dem vorgelagerten Netz ausgebaut. Inselnetze sind in seltenen Fällen wirtschaftlich vorteilhafter für die Kunden.

  2. Richtig ist, dass der dezentral eingespeisten Strommenge und –leistung tatsächlich weniger Entnahmen aus der vorgelagerten Netzebene gegenüberstehen. Würde die Leistung nicht vor Ort eingespeist, würde die entsprechende Strommenge aus dem vorgelagerten Netz entnommen und bepreist. D.h. beim Wegfall der vermiedenen Netzentgelte würden die Kosten nicht gänzlich entfallen, sondern es fielen höhere vorgelagerte Netzentgelte für den örtlichen Netzbetreiber an, die an die Verbraucher verrechnet würden. In welcher Höhe, kann nicht vorhergesagt werden, denn durch einen Wegfall der Vergütung entfällt regelmäßig nicht die dezentrale Einspeisung, weder die volatile Einspeisung durch Anlagen der erneuerbaren Energien noch die konventionelle Erzeugung, die ebenfalls aus anderen energiewirtschaftlichen Gründen dezentral erreichtet wurde (z.B. zur Nutzung von KWK-Potentialen oder zur Verbunderzeugung bei industriellen Verbrauchern).

Die Zahlung vermiedener Netzentgelte kennt keine Frist. Vielmehr werden vermiedene Netzentgelte für die gesamte technische Lebensdauer von Kraftwerken im Sinne des § 18 Abs. 1 StromNEV, die bis zum Stichtag am 31.12.2022 in Betrieb gehen, gezahlt.

Es ist zu erwarten, dass die Kosten für vermiedene Netzentgelte bis zum Jahr 2023 auf dem heutigen Niveau von über einer Milliarde Euro pro Jahr stagnieren. Eventuell kommen bis zum Beginn des Kalenderjahres 2023 noch weitere Neuanlagen hinzukommen. Allerdings sind die Zahlungen durch das Referenzpreisblatt auf das Niveau des Jahres 2016 begrenzt. Erst mit dem Erreichen der technischen Lebensdauer dieser Bestandsanlagen werden die Kosten im Status quo weiter sinken.

Für eine Einschätzung der Entwicklung wird überschlägig auf die Kraftwerksliste der Bundesnetzagentur abgestellt, die Kraftwerke ab 10 MW Nettonennleistung enthält. Anhand des Datums der Inbetriebnahme derjenigen Kraftwerke, die unterhalb der Höchstspannungsebene angeschlossen sind und daher unter die Regelung vermiedenen Netzentgelte fallen, wird das wahrscheinliche Stilllegungsdatum anhand der technischen Lebensdauern unterstellt.

Im Ergebnis zeigt sich, dass sich ein Abbau des durch vermiedene Netzentgelte vergüteten Kraftwerkbestands gemessen in Nettonennleistung relativ gleichmäßig über die Zeit verteilt. Unter den getroffenen Annahmen bezüglich der Betriebslaufzeit wird im Jahr 2040 noch die Hälfte der Nettonennleistung angeschlossen sein (vgl. Aufzählung oben). Entsprechend langsam wird sich auch der Abbau der vermiedenen Netzentgelte gestalten. Legt man die Abbaugeschwindigkeit der dezentral installierten Nettonennleistung auch als Abbaugeschwindigkeit für die vermiedenen Netzentgelte zugrunde, sind bis 2060 noch grob Kosten in Höhe von 30 Milliarden Euro für vermiedene Netzentgelte zu erwarten.

Letztendlich hängt die Höhe der zukünftigen vermiedenen Netzentgelte nach geltendem Recht stark von der Entwicklung der Großhandelspreise für Elektrizität, von der tatsächlichen Nutzungsdauer der Erzeugungsanlagen und von politischen Entscheidungen in Bezug auf den Kohleausstieg ab.

Kraftwerksbestand gemessen in Nettonennleistung in MW der Kraftwerke mit Anspruch auf vermiedene Netzentgelte

Kraftwerksbestand gemessen in Nettonennleistung in MW der Kraftwerke mit Anspruch auf vermiedene Netzentgelte.

Es ist anzunehmen, dass eine Vielzahl von Anlagen auch noch in 100 Jahren in Betrieb ist. Dies betrifft insbesondere die langlebigen Laufwasserkraftwerke. Auch heutzutage gibt es diverse Kraftwerke, die bereits vor über 100 Jahren in Betrieb gingen. Die vermiedenen Netzentgelte werden somit zu einem Institut, das nach derzeitiger Rechtslage gleichsam ewig fort gewährt wird.

8. Position der Bundesnetzagentur: Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte

Die durch das NEMoG eingebrachten Änderungen des Instituts der vermiedenen Netzentgelte wirken. Durch die Deckelung der Höhe der vermiedenen Netzentgelte und den Wegfall für volatile Einspeiser, sanken die vermiedenen Netzentgelte von ca. 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2017 auf ca. 1 Milliarde Euro im Jahr 2020. Insbesondere kommt diese Senkung den Netznutzern in ländlichen Gebieten der neuen Bundesländer zugute.

Dennoch machen die vermiedenen Netzentgelte mit 4 – 5 % weiterhin und dauerhaft einen bedeutenden Anteil an den Netzentgelten der Stromkunden aus.

Ab 2023 erhalten neue dezentrale Kraftwerke keine vermiedenen Netzentgelte mehr. Ab diesem Zeitpunkt werden die vermiedenen Netzentgelte langsam sinken. Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahrzehnten noch bis zu 30 Milliarden Euro an vermiedenen Netzentgelten durch die Stromkunden zu tragen sind.

Eine Einsparung von Netzinfrastrukturkosten aufgrund von dezentralen Kraftwerken erneuerbarer oder konventioneller Art lässt sich nach 10 Jahren Netzentwicklungsplanung nicht feststellen.

Da das System der vermiedenen Netzentgelte im derzeitigen Erzeugungsstand nicht mehr sachgerecht erscheint, vertritt die Bundesnetzagentur die Auffassung, die vermiedenen Netzentgelte seien vollständig abzuschaffen. Erforderliche Förderungen seien technologiespezifisch gezielt und ohne Wirkung auf die lokalen Netzentgelte vorzunehmen.


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