Simsalabim…Wasserstoff!
Das Kernnetz für Deutschland kommt
Wie schaffen wir die Energiewende? Können wir die Pariser Klimaziele überhaupt noch erreichen? Diese Fragen zu beantworten, maßen wir uns hier nicht an. Klar ist aber: Ohne Alternativen zu fossilen Energieträgern wie Öl und Gas wird es nicht gehen. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien, vor allem aus Wind und Sonne, läuft auf Hochtouren. Auch die Netze, mit denen der klimafreundlich erzeugte Strom transportiert wird, werden täglich mehr. Doch nicht immer und überall ist Strom aus diesen Quellen verfügbar. Es braucht also mehr Möglichkeiten.
Und jetzt kommt der Wasserstoff ins Spiel. Wasserstoff! Inzwischen wirkt das Wort bei Manchen wie Magie. Dieser Text befasst sich jedoch nicht mit Illusionen, sondern betrachtet nüchtern die Lage. Was also ist Wasserstoff? Was kann er? Und natürlich: Was hat die Bundesnetzagentur damit zu tun?
Wasserstoff – die chemische Formel lautet H2 – ist ein vielfältig einsetzbarer Energieträger. Als solcher wird er eine Schlüsselrolle bei der Energiewende einnehmen. Einsetzbar ist er zum Beispiel in Industrie, Transport, Verkehr oder Energiewirtschaft, etwa zur Stromerzeugung durch entsprechende Kraftwerke. Vielerorts ist er auch schon im Einsatz. Gleichzeitig wird daran geforscht, wie er zum Beispiel eine Lösung für den Betrieb von Brennstoffzellen sein kann. Perspektivisch soll Wasserstoff zur Rückverstromung im Energiesektor genutzt werden, wenn Wind und Sonne nicht verfügbar sind.
Klimafreundlich hergestellter Wasserstoff ermöglicht es, die CO2-Emissionen in allen Sektoren deutlich zu verringern. Auf mittlere Sicht soll er die klimaschädlichen Energien ersetzen.
Stufe 1: Das Kernnetz
Wir brauchen Wasserstoff. Damit er effektiv in Deutschland zugänglich wird, ist eine Netzinfrastruktur als Grundgerüst notwendig, ein Wasserstoff-Kernnetz. Diesem Kernnetz werden weitere Ausbaustufen des Wasserstoffnetzes folgen. Ziel ist, auf diese Weise deutschlandweit zentrale Wasserstoff-Standorte wie große Industriezentren, Speicher, Kraftwerke und Importkorridore zu verbinden.
Das Wasserstoff-Kernnetz soll über eine Länge von knapp 10.000 Kilometer bis spätestens 2037 entstehen. Teilweise ist es möglich, bestehende Erdgas-Leitungen umzurüsten. 60 Prozent der Strecke sind heute schon als Erdgas-Leitungen vorhanden und können neu genutzt werden. In einem weiteren Schritt können sich dann über weitere Leitungen nach und nach immer mehr Produktionsunternehmen oder Kraftwerke anschließen.
Und wer bezahlt das alles? Das Kernnetz wird voraussichtlich 19,8 Milliarden Euro kosten. Netzbetreiber, also private Firmen, werden das Netz bauen und seinen Betrieb unterhalten. Diese Unternehmen erhalten Entgelte von allen, die das Netz nutzen. Das funktioniert genauso wie bei den Stromnetzen.
Die Bundesregierung hat ein Finanzierungsmodell beschlossen. Es sieht vor, dass über ein Amortisationskonto die Entgelte über die Zeit bis 2055 gestreckt werden. So fallen am Anfang keine übermäßig hohen Entgelte an. Das Modell löst das Problem, dass bei mangelndem Angebot keine Nachfrage auftritt. Denn wo keine Wasserstoff-Leitungen, da keine Wasserstoff-Nachfragenden.
Ein Großteil des Wasserstoffs, den wir in Deutschland brauchen, muss importiert werden. Dafür wird das Netz ausgelegt und Lieferungen über die Grenzen ermöglicht.
Der Handlungsrahmen
Die Bundesregierung hat im Juni 2020 eine Nationale Wasserstoffstrategie (NWS) verabschiedet. Im vergangenen Sommer hat sie diese weiterentwickelt. Die Strategie bildet den Handlungsrahmen für die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette: von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung sowie Weiterverwendung. Konkrete Maßnahmen, die hier niedergeschrieben sind, sorgen dafür, dass die Beteiligten ein klares Bild ihrer Rollen vor Augen haben.
Eine dieser Beteiligten ist die Bundesnetzagentur. Doch sehen wir uns zunächst die Inhalte und Ziele der Wasserstoffstrategie an:
- Klimafreundlich hergestellter Wasserstoff, insbesondere aus erneuerbaren Energien, und seine Folgeprodukte sollen sich als Schlüsselelemente der Energiewende etablieren. Damit trägt er entscheidend dazu bei, die Dekarbonisierung in bestimmten Bereichen zu erreichen. Dekarbonisierung meint, die (Energie-)Wirtschaft so umzustellen, dass sie CO2-frei wird.
- Die Strategie soll die regulativen Voraussetzungen für einen Markthochlauf der Wasserstofftechnologien schaffen. Einfach gesagt: Wir brauchen Märkte für die Erzeugung und Verwendung von Wasserstoff. Märkte mit einem fairen Wettbewerb und Gewinnen für die, die in das neue Netz investieren. Der Schwerpunkt soll auf den Bereichen in Industrie und Verkehr liegen, die sich nicht anders dekarbonisieren lassen. Das sind zum Beispiel die Chemie- und Stahlindustrie oder der Luft-, Schiffs- und Fernlastverkehr.
- Die Kosten bei der Umsetzung von Wasserstofftechnologien sollen fallen, um globale Märkte anzustoßen.
- Der Plan sieht auch vor, deutsche Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Das gelingt, indem Forschung und Entwicklung und der Technologieexport rund um innovative Wasserstofftechnologien stärker werden.
- Wasserstoff braucht nicht nur gute Startbedingungen. Er soll auch in der Zukunft sicher verfügbar sein. Sobald wir von einem Energienetz sprechen, müssen wir über die eigenen nationalen Grenzen hinausdenken. Das heißt, wir brauchen verlässliche internationale Partner – mit Schwerpunkt in Europa – für die Gewinnung und den Transport von Wasserstoff. Es gilt, Kooperationen und Importstrukturen aufzubauen.
Rolle der Bundesnetzagentur
Und wo kommt jetzt die Bundesnetzagentur ins Spiel? Die Bundesnetzagentur ist Deutschlands oberste Regulierungsbehörde. Ihre Aufgabe ist, für fairen Wettbewerb zu sorgen. Beim Wasserstoff-Kernnetz verhält es sich genau wie beim Schienennetz oder dem Stromnetz: Es ergibt keinen Sinn, parallele Netze zu bauen. Eines genügt. Dieses eine betreibt also ein Monopolist. Damit der seine Stellung nicht ausnutzt, bestimmt die Netzagentur zum Beispiel die Höhe der Entgelte. Das ist der Betrag, den ein Unternehmen für die Nutzung seines Netzes erheben darf. Wo ein Zugang anderer Anbieter möglich ist, schafft sie die Bedingungen dafür. Im Gesetz heißt das „transparenter und diskriminierungsfreier Zugang“.
Hierzu wird die Behörde einen ausführlichen Diskussion- und Erörterungsprozess mit der Branche, der Zivilgesellschaft, der Politik und der Wissenschaft führen. Im Gesetz heißt dieser Prozess Konsultation. Das Ergebnis wird dann einfließen in die Regeln, die für alle Akteure bindend sind. Für den Bereich der Netzentgelte hat sie bereits Anfang April einen umfangreichen Konsultationsentwurf für das Festlegungsprojekt WANDA veröffentlicht.
Das Ziel der Netzagentur ist ein baldiger Beschluss. Dann haben die Investoren für das Kernnetz frühzeitig eine sichere Grundlage für ihre Investitionsentscheidung. Der nächste Schritt wird dann sein, einen integrierten Netzentwicklungsplan (NEP) Gas und Wasserstoff zu erstellen.
Es gibt jetzt schon Unternehmen, die eine Wasserstoff-Infrastruktur betreiben. Sie können sich entscheiden, ihre geplanten oder bestehenden Netze auf Bedarfsgerechtigkeit prüfen zu lassen. Betreiber, die in das Wasserstoff-Kernnetz investieren möchten, die sich also an Bau und Betrieb beteiligen wollen, müssen diese Netze von der Bundesnetzagentur genehmigen lassen.
Ziel ist ja, die Wasserstoffwirtschaft so schnell wie möglich am Markt zu etablieren. Markthochlauf ist hier das Fachwort. Dafür wird es nötig sein, Standards für den Netzzugang festzulegen und bei Bedarf auch anzupassen. Es ist schwer vorherzusagen, wie sich Angebot und Nachfrage entwickeln werden. Auch neue Technologien oder veränderte Kosten haben Einfluss auf den neuen Markt. Deshalb hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ein Konzept für genau diese Weiterentwicklung geschrieben.
Klimaschutz für den Industriestandort Deutschland
Klimaschutz funktioniert immer dann besonders gut, wenn er ökonomische Vorteile mit sich bringt. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Maßnahmen, die beides fördern – Wirtschaft und Klimaschutz – sind ohne Frage optimal. Bei der Nationalen Wasserstoffstrategie kann die Rechnung aufgehen. Der neue Energieträger setzt eine Technologie voraus, an der viele Akteurinnen und Akteure beteiligt sind. Die meisten werden sich einen wirtschaftlichen Erfolg versprechen.
In der öffentlichen Debatte um die Klimakrise sind oft Stimmen zu hören, die ausschließlich auf neue Technologien setzen. Dahinter steckt die Überzeugung, die Menschen in den starken Industrieländern wie Deutschland, die hauptverantwortlich für den klimaschädlichen CO2-Ausstoß sind, müssten nichts an ihrer Lebensweise ändern. Eine Innovation wird kommen, die das Problem löst und den Planeten vor dem Kollaps bewahrt. Nun sei an dieser Stelle gesagt: Die Erzeugung klimafreundlichen Wasserstoffes ist ein wichtiger Baustein. Aber nicht der einzige.
Neben dem Klimaschutz hat die Wasserstoffstrategie noch eine andere wichtige Zielrichtung. Sie trägt dazu bei, die Energieimporte zu diversifizieren. Seit der Gaskrise in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine wissen wir: Es ist nicht klug, in Sachen Energie alles auf eine Karte zu setzen. Deshalb haben die Verantwortlichen in der Politik schon kurz nach der Invasion angefangen, so viele verschiedene Energiequellen wie möglich zu erschließen. Das ist mit Diversifizierung gemeint. In Bezug auf den Wasserstoff heißt das: Bei der Energieversorgung setzen wir nicht mehr nur auf die bewährten Energien, zu denen inzwischen auch Wind und Sonne gehören. Sondern wir erweitern unsere Möglichkeiten. Das erhöht unser aller Versorgungssicherheit.
Darüber hinaus geht es bei Wasserstofftechnologien auch um viele zukunftsfähige Arbeitsplätze, neue Wertschöpfungspotenziale und einen globalen Milliardenmarkt. Deutsche Unternehmen leisten in diesem Bereich bereits sehr viel, etwa bei der Brennstoffzelle und der Elektrolyse für die grüne Wasserstofferzeugung. Ziel ist, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien eine Vorreiterrolle in der Welt einnimmt.