Ein emp­find­li­ches Gleich­strom­ge­wicht

Über Rekorde und Herausforderungen bei der Energiewende

Stromleitungen bei Sonnenaufgang.

„Diese Ausschreibung ist ein Rekord. Das Gebotsvolumen dieser Runde ist so hoch wie noch nie.“ Erst vor wenigen Tage verkündete Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, diese Botschaft. Anlass war die überzeichnete Ausschreibung für Windenergieanlagen an Land (Onshore) zum Gebotstermin 1. August 2024.

Bei solchen Ausschreibungen ermittelt die Bundesnetzagentur, welche Erneuerbare-Energien-Projekte in welcher Höhe gefördert werden. Das können neben Wind- auch beispielsweise Photovoltaik- oder Biomasseanlagen sein.

Bei den Ausschreibungen handelt es sich um ein Auktion-ähnliches Verfahren. Die Betreiber geben Gebote darüber ab, mit welcher Förderung sie ihre Anlage errichten würden. Bei erfolgreicher Teilnahme an einer Ausschreibung erhalten die Betreiber dieser größeren Anlagen eine finanzielle Förderung aus dem Bundeshaushalt.

Wenn eine Ausschreibung überzeichnet ist, bedeutet das, dass die Summe der gebotenen Menge das ausgeschriebene Volumen übersteigt. In diesem Fall erhalten die günstigsten Gebote einen sogenannten Zuschlag.

Ausgeschrieben wird ein bestimmtes Volumen. Je höher diese Menge ist, desto mehr Anlagen können zukünftig eine Förderung erhalten. Das bedeutet wiederum, dass zukünftig mehr grüner Strom erzeugt werden kann.

Wie hoch die ausgeschriebene Menge letztlich ist, richtet sich nach den gesetzlichen Regelungen. Die Regelungen zu den Ausschreibungsverfahren sind überwiegend im Gesetz für den Ausbau Erneuerbarer Energien (Erneuerbare-Energien-Gesetz, kurz EEG) enthalten. Das reguläre Ausschreibungsvolumen für Wind-Onshore-Anlagen im Jahr 2024 beträgt beispielsweise insgesamt 10.000 Megawatt. Zum Vergleich: Im ersten Ausschreibungsjahr für Onshore-Anlagen 2017 lag das Volumen noch bei 2.800 Megawatt.

Mehr Transportwege für grünen Strom

Und der Ausbau der Erneuerbaren Energien nimmt kontinuierlich zu. Zahlen der Bundesnetzagentur auf ihrer Energiemarktplattform SMARD zeigen, dass sich der durch Onshore-Anlagen erzeugte Strom seit 2011 mehr als verdoppelt hat. Dennoch besteht bei den langfristigen Zielen Luft nach oben. Zudem gibt es eine weitere Herausforderung.

Die größten Windparks Deutschlands stehen im Norden. Das sind neben Windanlagen an Land auch welche auf See (Offshore-Anlagen). Die größte Nachfrage gibt es allerdings im Westen und Süden unseres Landes, da dort große und energieintensive Industrien angesiedelt sind. Bislang haben wir den Strom vor allem dort produziert. Zentral, in großen Erzeugungsanlagen wie Atom- und Kohlekraftwerken.

Erneuerbare Energien produzieren den Strom dezentral. Die erzeugten Energiemengen müssen transportiert werden. Dafür wiederum benötigt das Netz neue Leitungen. Ohne diese sind die Erfolge beim Anlagenbau nichts wert.

Netzausbau vor Gericht

Der Netzausbau ist ein komplexes Verfahren. Bedarfe müssen ermittelt, Wege für Trassen gefunden und die Bevölkerung informiert werden. Eine genaue Planung ist erforderlich, wie wir bei Insight bereits im Januar 2022 erläuterten. Entscheidungen der Bundesnetzagentur zum Ausbau einer Stromleitung greifen aber unweigerlich in Natur und Umwelt und die Interessen der betroffenen Menschen ein. Deswegen können Entscheidungen von Gerichten überprüft werden.

Im Juni hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zum ersten Mal über einen Planfeststellungsbeschluss der Bundesnetzagentur entschieden. Zwei hessische Gemeinden hatten gegen den erlassenen Planfeststellungsbeschluss für einen Abschnitt des Leitungsvorhabens Ultranet geklagt. Das Gericht hat die Klagen abgewiesen und gleichzeitig einige wichtige Fragen für zukünftige Verfahren der Netzagentur geklärt. Nach der Urteilsverkündung sagte Präsident Müller: „Das ist eine gute Nachricht für den beschleunigten Ausbau der Stromnetze.“

Erst vor wenigen Monaten wies das Bundesverwaltungsgericht auch einen Eilantrag und die Klage einer Gemeinde im Nordosten Bayerns zum Leitungsvorhaben SüdOstLink ab.

Das Vorhaben ist ein Gleichstromprojekt auf der Höchstspannungsebene. Es soll von Wolmirstedt bei Magdeburg bis Isar bei Landshut in Bayern als Erdkabel verlaufen. Die Bundesnetzagentur hatte durch das Planungsinstrument der sogenannten Veränderungssperre ein Veto bei der geplanten Erweiterung eines bestehenden Wasserschutzgebietes eingelegt. Daraufhin klagte die zuständige Gemeinde. Das Bundesverwaltungsgericht entschied aber zugunsten des Netzausbaus.

Die Begründung lautete unter anderem, dass das Vorhaben der Gemeinde „hinter die zeitlich befristete Sicherung der Planfeststellung für ein Vorhaben von herausragender Bedeutung für die überregionale Stromversorgung“ zurücktreten muss.

Ein empfindliches Gleichgewicht

Diese Verfahren stehen exemplarisch für die unterschiedlichen Interessen, die beim Stromnetzausbau berücksichtigt werden müssen. Regelmäßig ist auch das empfindliche Gleichgewicht zwischen den zwei berechtigten Interessen des Klima- und des Umweltschutzes betroffen. Letzterer hat oft direkt spürbare Auswirkungen auf den einzelnen Menschen.

Der Bundesnetzagentur kommt hier eine wichtige Aufgabe zu. Alle Verantwortlichen bemühen sich nach Kräften um ausgewogene Entscheidungen. Ein steter Austausch mit allen Betroffenen ist deshalb so zentral. Zuhören, diskutieren, Vorschläge machen: Das ist der Weg zu einem verträglichen Netzausbau, den dieses Land und seine Menschen brauchen.

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