Mehr Net­ze fürs Kli­ma

So erneuer(bar)t sich Deutschland

Stromtrasse auf dem Land.

Ein Netz zeichnet sich dadurch aus, dass es mehrere Punkte miteinander verbindet. Und dann noch einen mit wieder einem anderen. Und so weiter. Erst das Gesamtwerk lässt schließlich einen Sinn erkennen, der von Anfang an so gedacht war.

So ist es auch mit den Stromnetzen. Der eine Punkt ist die Energiequelle, der andere der Ort, an dem die Energie gebraucht wird: Industrie und Haushalte. In unserem Land geht es vor allem darum, den Strom vom Norden in den Süden zu transportieren. Denn vor allem an und vor den Küsten liefert der Wind viel von dem kostbaren Gut, das in den südlichen Bundesländern mit energieintensiver Industrie ankommen soll.

Längst ist klar, dass wir nicht länger auf fossile Energiequellen setzen können und wollen. Wir müssen sie durch erneuerbare Energien ersetzen. Der russische Überfall auf die Ukraine – und damit der Wegfall des Pipeline-Gases aus Russland – hat die Dringlichkeit dessen noch verdeutlicht und beschleunigt nun den Prozess.

Die Erneuerbaren, also Energie aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse, sind die Zukunft. Ohne sie werden wir die Klimaziele nicht erreichen. Mit der Produktion allein ist es aber lange nicht getan. Wir brauchen Stromnetze, Leitungen, für den Transport. Die Bundesnetzagentur ist für die Genehmigung der Hochspannungsleitungen zuständig, die eine Bundesland- oder Ländergrenze überqueren. Das sind zurzeit 7.400 Kilometer.

Es gibt in Deutschland vier Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), die die Leitungen quer durchs Land bauen. Die privat geführten Unternehmen heißen Amprion, 50Hertz, TenneT und TransnetBW. Jeder von ihnen ist jeweils für einen bestimmten Teil der Bundesrepublik zuständig.

Damit sind zwei der Akteure in dem riesigen, langfristigen Projekt „Netzausbau" genannt: Der Staat, hier die Bundesnetzagentur, und die ÜNB. Hinzu kommt die Öffentlichkeit, also alle Menschen im Land. Sie können sich an fast allen Schritten des Verfahrens beteiligen. Sie können Alternativen zur Streckenführung aufzeigen, auf lokale Besonderheiten hinweisen oder für den Natur- und Artenschutz eintreten. Der Prozess ist transparent und demokratisch. Und deshalb sehr kompliziert.

Der Netzentwicklungsplan

Ganz am Anfang des Netzausbaus steht der Szenariorahmen. In ihm gehen die Netzbetreiber der Frage nach, wie sich der Stromverbrauch und die -erzeugung in den kommenden 15 bis 20 Jahren entwickeln könnten. Wie viele E-Autos werden auf den Straßen sein? Woher kommt der Strom? Welche Industrien entstehen gerade und wieviel Strom werden sie brauchen? Wie wird sich der Stromhandel mit dem Ausland entwickeln? Und noch viel mehr.

Man kann sich die folgenden Schritte bis zur fertigen Leitung wie einen Trichter vorstellen. Es wird immer enger und konkreter. Wenn die Bundesnetzagentur diesen Szenariorahmen genehmigt hat, fällt der Startschuss für die nächste Stufe: den Netzentwicklungsplan, kurz NEP. Hier werden die theoretischen Überlegungen aus dem Szenariorahmen in elektrotechnische Maßnahmen übersetzt. Der Trichter verengt sich.

Führen wir uns einmal klar vor Augen, um was es jetzt geht: Hunderte Kilometer Leitungen bedeuten riesige Bauvorhaben. Dabei sind nicht nur die Leitungen selber für die teils immensen Investitionskosten verantwortlich. Es werden beispielsweise auch Umspannwerke zwischen Verteil- und Übertragungsnetz benötigt sowie Konverter-Stationen. Dies sind technische Anlagen, die den Gleichstrom der großen Leitungen, in Wechselstrom umwandeln. Der Wechselstrom ist das, was in unseren Haushalten ankommt.

Sie können so groß wie ein Fußballfeld sein, sehen nicht unbedingt schön aus und machen Geräusche. Doch wo genau soll die Leitung später einmal verlaufen? Lieber etwas näher an einem Wohngebiet, durch den Acker des Bauern oder doch durch den bislang unberührten Wald? Das sind nur drei Beispiele einer Vielzahl von Interessen, die immer sorgfältig gegeneinander abgewogen werden müssen. Dieser Teil dauert lange und ist besonders sensibel.

Klimaschutz zuerst

An dieser Stelle lohnt ein Blick auf das große Ganze. Es gibt etwas Besonderes an dem NEP, dessen zweiten Entwurf die Netzbetreiber Ende Juni dieses Jahres vorgelegt haben. Zum ersten Mal folgt er klar den Klimazielen. Deutschland soll bis 2045 klimaneutral werden. Die Netze spielen dabei eine herausragende Rolle.

Sie bilden das Fundament der Energiewende und müssen in der Lage sein, den erneuerbaren Strom zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern zu transportieren. Der Anteil der Erneuerbaren Energien an unserem Strommix soll bis 2037 vervierfacht und bis 2045 sogar verfünffacht werden. Der Netzausbau muss also nachziehen, so schnell es geht. Das ist politischer Konsens, Wille und Ziel.

Ein Beispiel dafür, wie der Netzausbau schneller vorangehen soll, ist der Umweltbericht. Bisher gab es aufwändige Untersuchungen, die sicherstellen sollten, dass kein Tier gefährdet wird. Außerdem war es oft nötig, so genannte Ausgleichsflächen für Amphibien oder Rastvögel zu schaffen. Eine neue Gesetzeslage ermöglicht es nun, auf neue Untersuchungen zu verzichten, wenn es bereits belastbare Daten gibt.

Oft sind die Auswirkungen des Netzausbaus auf die Tier- und Pflanzenwelt schon dokumentiert. Das spart enorm viel Arbeit, Geld und vor allem Zeit. Natürlich müssen die Netzbetreiber trotzdem auch zukünftig Maßnahmen ergreifen, um Tiere zu schützen. Das strikte Umweltrecht bleibt also gewahrt. Die Botschaft des geänderten Rechts ist also: Wir tun alles, um den Netzausbau zu beschleunigen. Denn wenn wir die Energiewende meistern, gewinnen auch die Tiere und Pflanzen.

Wir befinden uns im Moment in der Phase des zweiten und letzten Entwurfs des NEPs. Ab jetzt wird der Trichter zusehends enger: Bestätigt die Bundesnetzagentur den zweiten Entwurf, bildet er die Grundlage für den nächsten Schritt, den Bundesbedarfsplan: Der Bundestag beschließt, dass die neuen Leitungen „energiewirtschaftlich notwendig“ sind. Damit gibt es erstmal kein Zurück mehr.

Bis jetzt sind aber meistens nur der Anfangs- und Endpunkt einer Leitung bekannt. Es folgt die Bundesfachplanung, die konkrete Vorschläge für die Verbindung der beiden Punkte unterbreitet. Am Ende dieser Phase steht ein etwa 1.000 Meter breiter Korridor fest, innerhalb dessen die Leitung später verlaufen wird. Erst in der Planfeststellung wird aus diesem Korridor ein genauer Verlauf. Vor allem bei den letzten beiden Schritten ermöglicht das Gesetz nun eine große Vereinfachung des Verfahrens.

Es betrifft die Möglichkeit der Öffentlichkeit, die Planung einzusehen. Bisher standen kartonweise ausgedrucktes Papier in dicken Ordnern an Orten wie Rathäusern zur Ansicht bereit. Nun stellt die Bundesnetzagentur alles in digitalisierter Form zur Verfügung. Leicht sich vorzustellen, dass es damit viel schneller geht. Ist dieser Schritt vollzogen und die Baugenehmigung erteilt, kann es endlich losgehen.

Langfristige Planung hilft Politik und Wirtschaft

Manche mögen sich fragen, warum ein derart aufwändiges Verfahren überhaupt nötig ist. Warum zum Beispiel gibt es alle zwei Jahre einen Netzentwicklungsplan, dessen Horizont sich über mehr als 20 Jahre erstreckt?

Die Anforderungen an ein derart komplexes Netz wie unser Stromnetz verändern sich ständig. Erzeugung und Verbrauch bleiben nicht starr. Dazu kommen technische Innovationen, die die Planung verändern. Deshalb unterliegen alle Projekte einer ständigen Prüfung. Dies sei betont, damit nicht der Eindruck entsteht, ein einmal gefasster Plan würde ohne Seitenblicke auf Veränderungen umgesetzt werden.

Der eine Grund für die langfristige Planung liegt bei den ÜNB. Mit dem Ausbau der großen Hochspannungsnetze gehen Investitionen einher. Das alles kostet viel Geld. Was sie also brauchen, ist Planungssicherheit. Hier sei noch erwähnt, dass die Netzbetreiber nicht nur neue Leitungen und Konverter bauen, sondern ihre Netze auch in Stand halten müssen.

Je weiter und genauer sie also in die Zukunft sehen, desto besser für ihr Geschäft. Außerdem hat auch die Privatwirtschaft, also beispielsweise Unternehmen aus der Automobil-, Pharma- oder Bauindustrie, ein Interesse an dem langen Ausblick. Sie braucht den Strom, um Autos, Medikamente, Bauteile, Glas usw. zu produzieren. Deshalb müssen sie wissen, ob sie den auch verlässlich bekommen.

Der andere Grund hat eine politische Dimension. Ein Blick auf die Zahlen zeigt das deutlich: Im NEP von 2013 standen noch 49 Vorhaben. Zehn Jahre später, im Jahr 2023 sind es bereits 97. Es hat sich also in der Zwischenzeit herausgestellt, dass die bisherige Planung nicht ausreichend war. Die Folgen der Klimakrise sind spürbarer geworden. Der Gesetzgeber hat darauf mit strengeren Klimazielen reagiert. Die geopolitische Lage hat sich verändert. Versäumnisse aus der Vergangenheit müssen aufgeholt werden. Manches lässt sich voraussehen, anderes nicht.

Ein Plan jedoch ist trotzdem unabdingbar. Er funktioniert für die Politik wie eine Richtschnur. Er steckt Linien ab. Sie zeigen der jeweiligen Regierung und dem Gesetzgeber, was zu tun ist. Dieses aufwändige Verfahren mit all seinen Plänen, Berichten, Konsultationen und Gutachten sorgt dafür, dass der Netzausbau nicht irgendwelchen politischen Stimmungsschwankungen unterliegt. Außerdem steht es fast schon sinnbildlich für das, was eine starke Demokratie ausmacht: Sie macht Arbeit, aber der Gewinn ist Stabilität und Sicherheit.

Zum Schluss noch einmal Zahlen, die die Dimension dieses Megaprojektes veranschaulichen: Bis 2045 sollen fast 26.000 Kilometer Leitungen gebaut sein, die etwa 250 Milliarden Euro kosten werden. Wohl gemerkt, das ist der Stand heute. Änderungen vorbehalten.

Die Bundesnetzagentur hat eine wichtige Aufgabe beim Netzausbau. Sie erfordert Konzentration und Anstrengung. Doch die Motivation könnte stärker nicht sein. Die Energiewende muss gelingen.

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