So weit, so gut
Die Gasversorgung 2022 im Rückblick
Am 24. Februar 2022 veränderte sich die Welt. Der sicher geglaubte Frieden in Europa zerbrach mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine. Deutschland hatte bis dahin einen Großteil seines Bedarfs mit russischem Gas gedeckt. Es kam zuverlässig durch die Pipeline Nord Stream 1, eine zweite Verbindung stand kurz vor Betriebsstart. Dazu war die Energie billig. Eine komfortable Situation. Doch die Notwendigkeit, sich nach Alternativen umzuschauen, wurde allzu bald offensichtlich.
Die Erschütterung des russischen Angriffs machte sich in den Gaspreisen bemerkbar. Eine öffentliche Diskussion setzte ein, ob die russische Seite Deutschland den Gashahn zudrehen würde oder ob die Bundesregierung die Verträge beenden würde. So oder so: Die Energiesicherheit stand auf tönernen Füßen. Und Märkte reagieren empfindlich auf Unsicherheiten.
Gaspreise gestiegen
Seit März 2022 hat sich der Gaspreis im Gasgroßhandel vervielfacht. Im Jahresdurchschnitt lag der Preis bei 123,8 Euro je Megawattstunde (MWh), 2021 waren es noch 47 Euro je MWh. Ihren vorläufigen Höchststand erreichten die Großhandelspreise Ende August mit 315,9 Euro je MWh an der Energiebörse EEX. Sie waren damit etwa viermal so hoch wie vor Ausbruch des Krieges. Bis November fielen die Preise dann wieder deutlich. Mit 22,4 Euro je MWh erreichten sie den niedrigsten Stand des Jahres. Zum Jahreswechsel lag der Großhandelspreis bei 63,8 Euro je MWh.
Bis zum Ende des Sommers kannte der Gaspreis also nur eine Richtung. Das versetzte die Industrie und die ganz normalen Menschen im Land in Aufregung und Sorge. Hohe Energiekosten bedeuten, dass praktisch alles teurer wird – von den Heizkosten bis zu den Lebensmitteln. Die Inflation erreichte lange nicht gekannte Höhen. Eine Krise zog herauf. Gegen hohe Kosten jedoch gibt es Maßnahmen. Die Bundesregierung schnürte Entlastungspakete, erschuf Deckel und Bremsen. Das alles löste aber nicht das andere Problem: Woher bekommen wir genug Gas? Die Produktion, insbesondere lebenswichtiger Güter, durfte nicht stillstehen, Wohnungen im Winter nicht kalt werden. Es galt also, die Gasspeicher zu füllen. Dafür standen verschiedene Instrumente zur Verfügung. Erstens: sparen. Zweitens: andere Quellen als die russischen erschließen. Drittens: Gas als Energieträger ersetzen. Fortan richteten sich aller Augen auf die Füllstände der Gasspeicher.
Wieviel Gas kam rein, wieviel ging raus?
Insgesamt wurden im Jahr 2022 1.449 Terrawattstunden (TWh) Erdgas nach Deutschland importiert. Das waren knapp 200 weniger als im Jahr 2021. Die größten Mengen kamen aus Norwegen (33 Prozent) und mit einem Anteil von 22 Prozent aus Russland. Im vorangegangenen Jahr waren das noch 52 Prozent gewesen. Die Gaslieferungen aus Russland sind im Jahresverlauf zurückgegangen. Wir erinnern uns an Wartungen der Pipeline, regulär vorgesehene und andere. Zwischendurch redete man in Deutschland auch mal über eine Turbine, die angeblich nicht funktionierte.
Jedenfalls wurden noch bis Mitte Juni täglich rund 1,7 TWh über die Nord Stream 1 geliefert. Danach reduzierten sich die Lieferungen erst um 60 Prozent, dann um 80 Prozent und blieben Anfang September schließlich ganz aus. Die fehlenden Gaslieferungen aus Russland konnten teilweise durch zusätzliche Importe, unter anderem über die Niederlande, Belgien und aus Norwegen kompensiert werden.
Gleichzeitig reduzierten sich die Exporte in die Nachbarländer, unter anderem aufgrund einer geringeren Gasnachfrage. Insgesamt exportierte Deutschland im Jahr 2022 rund 501 TWh Erdgas. Im Vergleich zum Vorjahr waren das knapp 250 weniger. Dies führte dazu, dass unterm Strich mit 948 TWh mehr Erdgas in Deutschland zur Verfügung stand als im Jahr 2021, da waren es 902. Um die fehlenden Gasmengen auszugleichen, war es außerdem notwendig, weniger Gas zu verbrauchen.
Gasverbrauch gesunken
Deutschland hat 2022 viel Gas gespart. Im Vergleich zum Durchschnittsverbrauch in den vergangenen vier Jahren ist der Erdgasverbrauch um 14 Prozent zurückgegangen. Der Rückgang des Verbrauchs in der Industrie betrug dabei 15 Prozent. Viele produzierende Betriebe bemühten sich frühzeitig um alternative Energien oder arbeiteten in einem sparsameren Modus. Für die privaten Haushalte, deren Gasverbrauch etwa 40 Prozent ausmacht, kam es vor allem später im Jahr darauf an, zu sparen – als es kühler wurde und die Versuchung größer, die Heizung wie gewohnt aufzudrehen. Doch auch sie – und die Gewerbebetriebe – schafften es, zwölf Prozent einzusparen. In den Monaten Oktober bis Dezember lag der Verbrauch der Industrie sogar 23 Prozent und der Verbrauch von privaten Verbrauchern und Gewerbetreibenden 21 Prozent unter den Vorjahren.
Einen großen Einfluss auf den Gasverbrauch hatten die Temperaturen. In Mittel lagen die Temperaturen im Jahr 2022 1,1 °C über dem Durchschnitt der letzten vier Jahre. Besonders der Oktober bescherte uns frühlingshafte Milde. Der Dezember hingegen war mit 1,8 °C Durchschnittstemperatur deutlich kälter als in den Vorjahren und lag 1,4 °C unter dem Vergleichswert.
Die Herausforderung Sparen hat das Land also bestanden. Einer freut sich ganz besonders darüber. "Das ist eine großartige gemeinsame Leistung aller, die sparsam Gas verbraucht haben"
, sagt Klaus Müller heute rückblickend. Zwischenzeitlich stand er im Ruf, zum Mahner der Nation zu werden. Eine Rolle, die ihm nicht gefiel, die auszufüllen er sich aber verpflichtet sah. In seinen öffentlichen Äußerungen seit Beginn des Jahres schwingen nun deutlich hörbar optimistische Klänge an.
Nicht nur der Präsident hatte monatelang angespannt auf die Gasspeicher geblickt. Im täglichen Lagebericht der Bundesnetzagentur erhielt diese Prozentangabe besondere Aufmerksamkeit. Manche sprachen von der "neuen Inzidenz".
Gasspeicher voll, Mangellage abgewendet
Kurz zur Erläuterung: In Deutschland gibt es mehrere Gasspeicher. Das Gesetz regelt, dass sie zu Beginn der kälteren Jahreszeiten voll sein müssen. Jedenfalls so voll, dass das Gas den Bedarf bis zum Frühjahr decken kann. So soll der Füllstand am 1. Oktober bei 85 Prozent liegen. Weil aber die allgemeinen Bemühungen so erfolgreich waren, war dieses Soll im Jahr 2022 bereits am 1. September erreicht. Am 13. November waren die Speicher schließlich ganz voll. Die Nation lehnte sich kurz zufrieden zurück. Doch als im Dezember plötzlich der Winter hereinbrach und die Speicher angezapft wurden, schraken Viele wieder hoch. Dabei ist ja das genau der Sinn der Speicher: einspeichern, wenn es warm ist und der Bedarf niedrig, um in den kalten Monaten ausspeichern zu können. Ein Gasspeicher ist kein Sparbuch, das belohnt, wenn man es möglichst wenig antastet.
Jetzt, Mitte Januar, sind die Speicher zu über 90 Prozent gefüllt. "Ein bemerkenswerter Wert"
, konstatiert Klaus Müller. "So hoch waren sie in einem Januar nur selten."
Die gesetzliche Vorgabe für Anfang Februar sind 40 Prozent. Um dieses Ziel zu erreichen, haben wir die besten Voraussetzungen.
Wir dürfen jetzt sagen: Die große Gefahr einer Gasmangellage ist für diesen Winter abgewendet. Nun gilt es, sich auf den nächsten zu konzentrieren. Denn für den müssen die Gasspeicher zum ersten Mal ganz ohne russisches Gas gefüllt werden.
Zahlen und Daten zum Jahresrückblick in der Gasversorgung 2022: www.bundesnetzagentur.de/gasversorgung-rueckblick2022
Die Lageberichte der Bundesnetzagentur: www.bundesnetzagentur.de/aktuelle-gasversorgung
Infos, Hintergründe und FAQ zum Thema Gasversorgung: www.bundesnetzagentur.de/gasversorgung