Wall­box und Wär­me­pum­pe ga­ran­tiert

Schluss mit dem Netzanschluss? Von wegen.

Frau und Kind in einer Garage mit E-Auto.

Wir alle kennen das vom Straßenverkehr: wenn wegen einer Umleitung plötzlich drei- oder viermal so viele Autos über eine Straße fahren wollen wie sonst, wird es eng. Es kommt zu Stau. Auch Stromnetze haben eine Kapazität für den normalen Stromfluss. Der ist großzügig bemessen. Noch nie hat es zu einem Engpass geführt, wenn an Weihnachten alle gleichzeitig mit dem Starkstromanschluss vom Herd die Weihnachtsgans braten wollten.

Doch die Elektrifizierung von Verkehr und Gebäudewärme führt in den Ortsnetzen voraussichtlich zu deutlich mehr „Verkehr“ auf den Leitungen. Gerade zu ganz bestimmen Tageszeiten im Winter. Also muss man ran an die Netze. Das braucht Zeit – dennoch sollen die Menschen im Ortsnetz weiter die Wärme- und Verkehrswende vorantreiben und schnell ihren Anschluss kriegen.

Stellen wir uns folgende Situation vor: Familie Schneider wohnt in einem Einfamilienhaus, kauft sich ein E-Auto und möchte das zu Hause laden. Also kauft sie sich die dafür notwendige Wallbox für ihre Garage und beantragt den Anschluss bei ihrem Netzbetreiber. Der lehnt den Antrag der Schneiders ab, weil er eine lokale Überlastung seines Stromnetzes befürchtet. Lokale Überlastung würde nichts Anderes bedeuten, als ein Stromausfall in der betroffenen Gegend. Der Netzbetreiber weiß nämlich, dass in der Gegend mittlerweile sehr viele neue Wallboxen und andere Stromanwendungen wie Wärmepumpen ans Netz gegangen sind. Und er befürchtet einen Zusammenbruch des örtlichen Netzes. Nämlich dann, wenn die Nachbarschaft gleichzeitig mit den Schneiders lädt und heizen würde. Realistisch betrachtet passiert das vorzugsweise abends nach der Arbeit. Familie Schneider müsste also sehr lange auf ihren Anschluss warten oder bekommt ihn vielleicht überhaupt nicht.

Dieses Szenario will niemand. Denkbar wäre es aber. Was die meisten Menschen in diesem Land wollen – und was auch politisch ein klares Ziel ist – ist die Energiewende. Der Verkehrssektor spielt hier eine große Rolle. Familie Schneider treibt die so dringend benötigte Transformation voran, wenn sie ihren Verbrenner gegen ein E-Auto tauscht. Gleiches gilt für diejenigen, die ihre Gas- oder Ölheizung gegen eine Wärmepumpe eintauschen. Immer mehr Menschen entscheiden sich so. Und das ist gut. Wie kann es also gehen?

Der Vorschlag der Bundesnetzagentur

Die Elektrifizierung des Verkehrs- und Wärmesektors reduziert CO2-Emissionen erheblich. Das Ziel ist, bis 2030 mindestens 15 Millionen Elektro-Pkw auf Deutschlands Straßen zu bringen. Ab 2024 sollen pro Jahr 500.000 neue Wärmepumpen installiert werden. Mit anderen Worten: Die Verkehrs- und Wärmewende ist schon in vollem Gange.

Das Problem: Die Verteilnetze halten mit dem Tempo nicht mit. Es dauert eine gewisse Zeit, bis sie ausreichend ausgebaut sind. Verteilnetze sind die regionalen Netze, die den Strom in die Haushalte bringen. Was es dafür braucht, ist ein Instrument, ein Regelwerk, das jetzt funktioniert und nicht erst, wenn die Netze ausreichend ausgebaut sind. Deshalb hat die Bundesnetzagentur einen Vorschlag gemacht.

Zunächst gilt: Die Netzbetreiber müssen die Verteilnetze in einem hohen Tempo leistungsfähiger machen. Sie müssen sie ausbauen, damit die Mobilitäts- und Wärmewende gelingen kann. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet und Geld ist dafür auch da. Denn die Netzbetreiber können die Kosten in die Netzentgelte sicher umlegen.

Bis es so weit ist, muss das Niederspannungsnetz digitalisiert werden. Nur so kann der Netzbetreiber drohende Überlastungen rechtzeitig erkennen. Dazu braucht es jetzt digitale Zähler in den Haushalten, die ihre Daten an den Netzbetreiber senden. Darüber hinaus muss der Netzbetreiber die Möglichkeit erhalten, solchen konkreten Überlastungen im Einzelfall entgegenzuwirken. Das kann er tun, indem er genau dann den Stromverbrauch der Wärmepumpen und Wallboxen für einen kurzen Zeitraum vermindert. Die Menschen merken das normalerweise überhaupt nicht. Vor allem aber ist die Versorgungssicherheit gewährleistet.

Es gilt also, die Verkehrs- und Wärmewende im lokalen Stromnetz zu ermöglichen. Entgegen der Wahrnehmung, die manche Skeptiker verbreiten, geht es nicht darum, ob in Deutschland insgesamt genug Strom zur Verfügung steht. Zusätzliche Stromerzeugung würde diese Probleme vor Ort nicht lösen. Ganz im Gegenteil: Wir sprechen hier von Situationen, in denen in einer bestimmten Straße die Leitungen durch zu viel Strom überlastet sind. Das soll nicht passieren.

Dimmen nur im Notfall

Nach dem Modell der Bundesnetzagentur müssen Wallboxen, Wärmepumpen und andere sogenannte steuerbare Verbrauchseinrichtungen ans Netz angeschlossen werden. Der Netzbetreiber darf das nicht verzögern oder ablehnen. Im Gegenzug kann der Netzbetreiber den Strombezug für diese Geräte im Notfall reduzieren, wenn eine Überlastung des Netzes konkret droht. Notfall heißt, es besteht akut die Gefahr, dass Niederspannungsnetze beschädigt werden oder sogar ausfallen könnten. Und selbst dann muss der Strom weiter fließen, nur eben weniger.

Das heißt also für Wallboxen und Wärmepumpen konkret: Sie laufen weiter, nur eben etwas reduzierter. Und: Der gewöhnliche Haushaltsverbrauch – Kühlschrank, Waschmaschine, Backofen usw. – bleibt von jedem Eingriff ausgenommen. Die Weihnachtsgans ist immer noch nicht in Gefahr.

Noch ein wichtiges Element des Modells: Ein Basisstrombezug bleibt garantiert. Damit ließe sich ein E-Auto immer in drei Stunden so aufladen, dass das für den durchschnittlichen Weg zur Arbeit und zurück reicht. Oder für den Weg ins Krankenhaus, wenn die Wehen plötzlich einsetzen. Eine Wärmepumpe kann über den Zwischenspeicher immer ausreichend Wärme erzeugen. Ein „Dimmen“ des Strombezugs würde hier also kaum auffallen.

Weniger Netzentgelte

Die Möglichkeit zu dimmen könnten Betroffene wie Familie Schneider natürlich als eine Beschränkung wahrnehmen. Das sind wir nicht gewohnt. Deshalb sieht das Gesetz zukünftig einen Preisnachlass vor: Wer eine Ladebox oder eine Wärmepumpe betreibt, zahlt weniger Netzentgelt. Dabei gibt es die Wahl zwischen zwei Varianten.

Die erste sieht einen pauschalen Rabatt auf das Netzentgelt vor. Dabei gilt eine bundeseinheitliche Regelung zur Bestimmung des Rabatts je Netzbetreiber, da die Netzentgelte unterschiedlich hoch sind. Er kann je nach Netzgebiet zwischen 110 und 190 Euro im Jahr betragen. Familie Schneider sieht diesen Betrag auf ihrer Stromrechnung separat ausgewiesen und kann ihn nachvollziehen.

Bei der zweiten Variante geht es um eine prozentuale Reduzierung des Arbeitspreises um 60 Prozent. Der Arbeitspreis ist der Preis pro Kilowattstunde (kWh). Damit die zweite Variante technisch funktioniert, braucht es allerdings einen Extra-Zähler für den Verbrauch der Wärmepumpe oder der Wallbox. Das heißt: ein zweiter Zähler, der nur diesen Strom misst, muss eingebaut werden. Ein solcher eigener Zähler ist ohnehin die Voraussetzung für weitere Vorteile, die für Heizstrom bestehen (z. B. eine Umlagebefreiung) oder noch geschaffen werden könnten.

Anreize für Flexible

Familie Schneider bekommt also ihre Ladebox und kann ihr E-Auto jederzeit laden. Sie muss allerdings damit rechnen, dass es in seltenen Fällen länger dauert bis es vollgeladen ist. Dafür bezahlt sie aber weniger für die Nutzung des Stromnetzes.

Nachdem die Bundesnetzagentur ihr Modell vorgestellt hatte, gab es eine so genannte Konsultation. Der Fachbegriff lässt sich am besten mit „Beratung“ übersetzen. Die Fachleute in der Netzagentur haben Unternehmen und Verbänden um ihre Meinung gebeten. Anschließend haben sie eine Idee aufgegriffen, die nun den ursprünglichen Vorschlag ergänzt.

Die Idee lautet wie folgt: Wirtschaftliche Anreize sollen dafür sorgen, dass nicht alle zur gleichen Zeit Strom verbrauchen. Wer bereit ist, dann Strom zu verbrauchen, wenn sonst wenig Nachfrage besteht, profitiert, indem er weniger Netzentgelte zahlt. Das entlastet die Kassen der Haushalte und die Stromnetze. Ein Instrument, das in der Fachsprache variable Netzentgelte heißt. Wenn Familie Schneider ihr E-Auto zum Beispiel nachts anstatt am frühen Abend lädt, spart sie Geld. Das Auto steht trotzdem morgens aufgeladen für die Fahrt zur Arbeit bereit. Es muss auch niemand nachts aufstehen und das Kabel einstecken. Das Laden beginnt automatisch, zum Beispiel über ein Energie-Management-System.

Immer wenn es um Netzentgelte geht, darf man zweierlei nicht vergessen. Erstens: Netzentgelte machen nur einen Teil des gesamten Strompreises aus. Und zweitens: Die Netzentgelte werden nur in Höhe der Kosten für das Netz erhoben. Die Kosten sind staatlich kontrolliert, die Gewinne auch. Daher werden durch Gestaltung immer nur Netzkosten umverteilt, die Gesamtkosten werden dadurch zuerst einmal nicht weniger. Die neue Verteilung muss fair ausgestaltet sein.

Ziel bleibt der Netzausbau

Ein Vorteil der eben genannten Lösung ist, dass alle neuen Wallboxen und Wärmepumpen an dem Modell teilnehmen. So verteilt sich die Aufgabe, der Überlastung entgegenzuwirken, auf viele Schultern. Jeder und jede Einzelne muss nur einen vergleichsweise kleinen Teil beitragen und wird nur in seltenen Fällen betroffen sein.

Parallel sorgt das Modell für Transparenz. Der Netzbetreiber muss nicht nur dokumentieren, wo und wie oft er den Strombezug von Wallboxen und Wärmepumpen heruntergefahren hat. Er soll auch öffentlich darlegen, dass jede einzelne Maßnahme erforderlich war. Er hat also die Pflicht zur Rechenschaft. Genau das wird die Bundesnetzagentur beobachten, veröffentlichen und durchsetzen.

Die Regelung soll ab 1. Januar 2024 greifen. Wer seine sogenannte steuerbare Verbrauchseinrichtung schon vor diesem Datum in Betrieb genommen hat, für den gelten lange Übergangsfristen. Auch wird diese Entscheidung nicht das Ende des Prozesses sein. Die Bundesnetzagentur beobachtet die Auswirkungen und Entwicklungen weiterhin. Sie wird den Entwicklungen der Energieversorgung und der Digitalisierung regelmäßig angepasst werden.

Steuerungseingriffe können nur eine Übergangslösung sein. Das Ziel sind Netze, die dem Bedarf gerecht werden. Das sollen sie auch dann noch, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher stärker auf Preissignale aus der künftigen, schwankenden Stromerzeugung reagieren können. Die Bundesnetzagentur unternimmt jede Anstrengung, diesen Netzausbau zu unterstützen. Doch bis es soweit ist, schaffen klare und ausgewogene Regelungen Vertrauen sowie Sicherheit für den Umstieg auf E-Mobilität und Wärmepumpen.

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