„Wir wollen eine Digitalagentur sein“
Interview mit Präsident Klaus Müller
Es ist Herbst. Nicht nur in der Bundesnetzagentur denken Viele an die drohende Gaskrise in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine zurück. Der ständige Blick auf die Gasspeicher, die Vorbereitung auf die Mangellage, die Spar-Appelle an die Bevölkerung. Wo stehen wir heute?
Der Winter 2024/25 ist nicht mehr zu vergleichen mit beiden Wintern vorher. Wir haben gut gefüllte Gasspeicher und das schon seit dem Sommer. Jetzt liegen wir bei über 95 Prozent. Wir haben sehr stabile Zuflüsse aus Norwegen als Hauptquelle für die deutsche Gasversorgung, aber auch aus Belgien und den Niederlanden. Wir sehen, dass insgesamt nicht mehr ganz so deutlich gespart wird wie in den beiden Krisenwintern. Aber der deutsche Gasverbrauch ist nach wie vor niedriger als zur Vorkrisenzeit. Das gilt auch für unsere Nachbarländer. Insofern sind die weggefallenen russischen Gaslieferungen verschmerzt – natürlich zu Lasten eines höheren Gaspreises. Anders als beim Strom hat sich der Gaspreis noch lange nicht da eingependelt, wo sich das Menschen und Industrie gewünscht haben. Aber was die Versorgungssicherheit angeht, sind wir viel besser vorbereitet als bisher. Der Disclaimer bleibt jedoch: Sehr, sehr kalte Winter in halb Europa, innereuropäische Solidaritätsverpflichtungen oder vollkommen unvorhergesehene Ereignisse wie Sabotage- oder Terrorakte gegen Versorgungsinfrastruktur könnten uns schon in Bedrängnis bringen.
Können Sie belastbare Aussagen über die Entwicklung des Gaspreises machen?
Die Kolleginnen und Kollegen haben dafür ein neues Tool entwickelt. Wir können jetzt sowohl im Strombereich für Bestands- und Neukunden, aber auch im Gasbereich die Preisentwicklung modellieren. Weil wir uns auch nicht nur auf die Vermittlungsportale verlassen wollen, die damit Geld verdienen. Was wir sehen, ist, dass wir deutlich über dem damaligen Gaspreisniveau liegen.
Alle reden über Wasserstoff als den Energieträger der Zukunft. Die Bundesnetzagentur hat jüngst den Antrag der Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) auf das H2-Kernnetz genehmigt. Wie wird es weitergehen?
Erstmal: Warum tun wir das? Wir liegen inzwischen bei im Schnitt rund 60 Prozent Erneuerbarer Energien im Stromsystem. Aber nach wie vor haben wir ein Problem, grünen Strom zu speichern. Deshalb brauchen wir neben Elektronen auch einfach speicherbare Moleküle. Wenn die dann aus grünem Wasserstoff stammen, ist das ein Beitrag zur Speicherung Erneuerbaren Stroms und damit auch zur Energiewende.
Das wollen wir natürlich nicht nur an den Küsten haben, wo viele Windenergieanlagen stehen. Wir müssen den Wasserstoff auch in Deutschland verteilen. Wir wollen auch in Europa dazu beitragen, eine neue Infrastruktur zu schaffen. Darum haben wir innerhalb von anderthalb Jahren ein Wasserstoff-Kernnetz erarbeitet. Wir, das sind die Bundesregierung, der Bundestag, die Fernleitungsnetzbetreiber, aber maßgeblich auch die Kolleginnen und Kollegen der Bundesnetzagentur. Die Bundesnetzagentur hat am 22. Oktober 2024 das Kernnetz genehmigt, nicht ganz so wie der Antrag vorgelegen hat. Den haben wir mit kritischen Augen gelesen; es geht ja immer auch um Kosten und die Frage: Was ist wirklich nötig an Infrastruktur?
Und wann können wir dann den Wasserstoff nutzen?
Die Ansagen sind ja, dass knapp 60 Prozent umgewidmete Gasleitungen sein werden. Das ist kostengünstiger als neu zu bauen. Es geht auch schneller. Mir haben Netzbetreiber gesagt, nach Weihnachten sollen die ersten Bagger rollen. Wahrscheinlich werden wir also in Teilabschnitten schon in den kommenden Jahren Wasserstofftransport im Netz erleben. Es wird eine pragmatische Übergangszeit geben, an deren Ende wir dann grünen Wasserstoff haben.
Wieviel müssen wir denn eigentlich importieren?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Ich gehe davon aus, es wird erstmal der größere Anteil sein. Bis Deutschland Elektrolyseure aufgebaut hat, die dann kostengünstig, zuverlässig, technisch ausgereift arbeiten werden, wird es noch etwas brauchen. Wichtig ist, dass wir mit der Infrastruktur den ersten Schritt gemacht haben und so eine Wasserstoffwirtschaft anreizen.
Wer wird denn überhaupt den Wasserstoff nutzen? Werden dann unsere Gasheizungen mit Wasserstoff betrieben?
Dazu gab es hohe Erwartungen von Leuten, die an bestehenden fossilen Infrastrukturen möglichst wenig verändern wollen. Die glauben, es sei mit der Energiewende getan, sobald wir nur den Wasserstoff haben. Alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die ich kenne, aber auch Leute vom Verbraucherschutz oder aus den Stadtwerken wecken aber keine Hoffnung, dass die Belieferung mit Wasserstoff wirtschaftlich sinnvoll sein wird für private Haushalte. Es mag Ausnahmen geben. Wenn jemand rund um Bayer Leverkusen oder in der Nähe des BASF-Geländes lebt, mag es örtlich begrenzte Optionen geben. Wir werden den neuen Energieträger also vor allem in der Industrie einsetzen.
Kommen wir zum Thema Strom: Die Bundesnetzagentur hat diesen Sommer ein Eckpunktepapier veröffentlicht, in dem sie die Regelung zu den Netzentgelten für Industriekunden weiterentwickelt. Ist das klassische Anreizregulierung? Und was ist das Ziel?
In Deutschland zahlt die energieintensive Industrie deutlich geringere Stromnetzentgelte. Die Subventionierung dafür wird von allen Haushalten, Handwerkern, Gewerbetreibenden und der anderen Industrie übernommen. Diese Regelung läuft Ende 2028 aus. Es ist die alleinige Aufgabe der unabhängigen Bundesnetzagentur darüber zu entscheiden, wie es damit weitergeht. Als erstes wollten wir zuhören. Die Beschlusskammer hat Fragen gestellt, um zu ermitteln, was technisch möglich ist. In welcher Branche gibt es welche Möglichkeiten? Welche Übergangsfristen brauchen wir dafür?
Ziel ist: Erneuerbare Energien auf der Erzeugungsseite und industrielle Nachfrage auf der Verbrauchsseite müssen bestmöglich zueinander gebracht werden. Das wird über Flexibilität funktionieren.
Es gibt Regionen in Deutschland, die deutlich mehr Strom erzeugen als sie verbrauchen. Dort entstehen für den Umbau der Netze erhebliche Kosten. Gleichzeitig versorgt der Strom nicht nur die Region, sondern ganz Deutschland. Das klingt ungerecht. Wie reagiert die Bundesnetzagentur darauf?
Das haben wir alles schon erledigt. Eine der ersten Festlegungen war im Dezember letzten Jahres. Es ging darum: Wenn man in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder auch in Teilen Bayerns unterwegs ist, sieht man ganz viele Windräder, ganz viele Solaranlagen. Man denkt also: Alles richtig gemacht. Aber Verbraucher, Industrie oder Handwerk bekommen eine hohe Stromrechnung. Eine viel höhere als die Menschen in Hamburg, in NRW oder Baden-Württemberg, wo es nicht so viele Windräder und Solaranlagen gibt. Man braucht erstmal eine Infrastruktur, um den Erneuerbaren Strom abzutransportieren. Damit landet dort, wo viel erzeugt wird, ein ganz großer Teil der Infrastrukturkosten. Das haben Viele als ungerecht empfunden. Die Bundesnetzagentur hat dann gesagt: Diejenigen, die Erneuerbare Energien ausbauen, sollen nicht darunter leiden. So haben wir Regionen definiert, wo dieser überdurchschnittliche Ausbau stattfindet. Wir schauen uns das Jahr für Jahr an. Es kann sich also niemand auf seinen Lorbeeren ausruhen. Umgekehrt können Regionen auch aufholen. In diesen Tagen sehen wir die Zahlen, die die Stadtwerke veröffentlicht haben. Und tatsächlich: Es profitieren die Regionen finanziell, die Erneuerbare Energien stark ausgebaut haben.
In diesem Jahr hat die Bundesnetzagentur eine neue Aufgabe hinzubekommen. Sie ist jetzt DSC, Digital Services Coordinator. Warum ist diese Aufgabe wichtig?
Klassischerweise sind wir zuständig für analoge Netze. Wir wollen, dass Strom und Gas fließen. Und wir kümmern wir uns um Telekommunikation und natürlich Post und Eisenbahn. Aber zu einer modernen Infrastruktur gehört heute mehr: Daten-Infrastruktur und Plattformen. Wir kommunizieren auf Plattformen, wir kaufen auf ihnen ein, wir wollen sichere Produkte. Leider tauchen auf Plattformen aber auch illegale und sogar strafbare Inhalte auf. Es gibt seit einiger Zeit eine europäische Gesetzgebung, den Digital Services Act (DSA), der eine nationale Behörde in jedem Mitgliedsstaat vorsieht. Sie koordiniert die Umsetzung vor Ort. Einer dieser 27 Digital Services Coordinators ist nun die Bundesnetzagentur. Und alle, die etwas vorausschauen, wissen: Da kommen noch drei weitere Digitalrechtsakte, die womöglich auch bei uns landen. Und dann wäre die Bundesnetzagentur Deutschlands Digitalagentur. Das ist alles in Teilen noch im Aufbau. Beim DSC sind wir derzeit noch gerade mal bei 15 Kolleginnen und Kollegen von den knapp hundert, die das Gesetz eigentlich vorsieht. Und mit dieser motivierten Truppe sind wir jetzt dabei, uns mit unseren Nachbar-DSCs zu vernetzen. Wir arbeiten der EU-Kommission zu, die ein großes Verfahren gegen X, ehemals Twitter, vorbereitet. Wir bauen auch die deutsche Infrastruktur auf. Die Vernetzung z. B. mit den Medienanstalten, mit den Datenschützern, mit dem Bundeskriminalamt.
Was ist denn ein Trusted Flagger?
Das Besondere an diesem EU-Gesetz ist, dass es nicht alleine auf Behörden setzt. Das Gesetz sagt, dass Akteure aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft eine Rolle haben sollen. Darum sieht die EU Trusted Flaggers, also vertrauenswürdige Hinweisgeber vor. Einen ersten hat die Bundesnetzagentur jetzt zertifiziert. Das ist REspect! in Baden-Württemberg, die schon seit vielen Jahren Erfahrung mit dem Thema haben. Und da ist über uns ein Shitstorm eingebrochen, weil es Viele gab, die etwas missverstanden haben oder missverstehen wollten. Die leiten aus einer Pressemitteilung ab, wir würden jetzt eine Zensurbehörde werden. Was definitiv nicht richtig ist. Der Prozess ist rechtsstaatlich: Die Bundesnetzagentur zertifiziert die Trusted Flaggers und diese haben dann gegenüber Plattformen das Recht, dass ihre Hinweise auf illegale Inhalte vorrangig von den Plattformen geprüft werden. Die Löschung solcher Inhalte wird dann aber von den Plattformen selbst geprüft und vorgenommen. Im Streitfall entscheiden final Gerichte darüber, ob Inhalte gelöscht werden oder ob eine Löschung zu Unrecht vorgenommen wurde.
Der europäische AI Act, der Data Governance Act und der Data Act sind neben dem DSA weitere Gesetze, um die Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalisierung in einen rechtlichen Rahmen zu fassen. Die Bundesnetzagentur will sich auch hier engagieren. Warum ist sie dafür geeignet?
Große Teile der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft erwarten, dass sie es mit einem Akteur zu tun haben. Nichts ist schlimmer, als wenn ich von Pontius zu Pilatus laufen muss. Ganz viele Fragen müssen einfach konsistent geregelt sein. Darum finde ich es sehr begrüßenswert, dass sowohl Minister Wissing als auch Minister Buschmann und Habeck daran arbeiten, dass diese neuen Daten-Aufgaben – Zugang zu Daten, Geschäftsmodelle mit Daten, Fragen um Künstliche Intelligenz und Algorithmen – an einer Stelle gebündelt werden. Das ist eine Wahnsinns-Herausforderung, aber für die Bundesnetzagentur als Digitalagentur eine gigantische Chance.
Nächstes Thema: die Post. Mögliche Porto-Erhöhungen bewegen die Gemüter. Wie ist da der Stand?
Es gibt ein neues Postgesetz, das erste Mal seit 1997. Es führt ein paar Veränderungen herbei. Zum Beispiel, dass die Post jetzt unter neuen Rahmenbedingungen eine Porto-Erhöhung beantragen kann. Das hat sie gerade getan. Im Moment gibt es ein Konsultationsverfahren, in dem wir jetzt nochmal Argumente miteinander austauschen. Interessant ist auch, was der Gesetzgeber zum Thema Laufzeiten gesagt hat. Die sollen flexibler sein. Das kennen wir aus anderen europäischen Ländern. Auch werden neben den Filialen stärker Post-Automaten zum Einsatz kommen können. Es geht insgesamt darum, Qualitätsvorgaben so gut durchzusetzen, wie wir das aus anderen Märkten gewohnt sind. Da hatte der Post-Bereich noch ein wenig Nachholbedarf. Es geht auch um den Wettbewerb im Postmarkt. Hier wollen wir die Möglichkeit von Marktzugängen stärken. Wir steigen in die Marktbeobachtung stärker ein. Und wir achten darauf, wer da alles im Markt ist. Da geht es um Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit, Fachkunde, gesetzliche Arbeitsbedingungen.
Herr Müller, wozu braucht die Bundesnetzagentur eigentlich eine Verständlichkeitsinitiative?
Wir sind eine kommunikative Behörde. Es werden viele Alltagsfragen, Probleme, Sorgen, Wünsche an uns herangetragen. Wenn man dann mit dem Verweis auf einen Gesetzesparagraphen antwortet oder mit einem ausführlichen, wenn auch richtigen Text, der aber unverständlich ist für jemanden, der nicht Jura studiert hat, dann fühlen sich Menschen weder gehört noch verstanden. Dann reden wir an ihnen vorbei. Das ist nicht das, was Menschen von einer modernen Behörde erwarten. Dabei geht es nicht nur um Verbraucherschutz, sondern einfach um einen höflichen Umgang miteinander. Wir wollen eine Sprache sprechen, die normale Menschen verstehen. Auch wenn sie keine Regulierungsexpertise haben. Das fällt nicht vom Himmel. Es muss genauso gelernt werden wie der Erlass von Festlegungen, wie die Implementierung neuer Software oder wie man sich durch Mietverträge durcharbeitet. Es ist Handwerkszeug. Darum haben wir uns auf den Weg gemacht, eine verständliche Sprache zu sprechen.
Vielen Dank für das Gespräch.