"Es wird ein Leben nach der Gaskrise geben."
Vizepräsidentin Barbie Kornelia Haller im Porträt
Das Präsidium der Bundesnetzagentur hat sich verändert. Am 1. März ist Klaus Müller in das Chefbüro eingezogen. Doch damit nicht genug des frischen Winds. Auf der entgegensetzten Seite des Flurs residiert nun Barbie Haller, neue Vizepräsidentin der obersten deutschen Regulierungsbehörde. Wobei "residieren" vielleicht ein falsches Bild hervorruft. Sie thront nicht hinter einem behäbigen Schreibtisch. Die 45-jährige schlendert lässig durch den Raum und schlägt erst einmal vor, ein paar Schritte an der frischen Luft zu gehen. "Hier ist es so kahl"
, sagt sie mit Blick auf das frisch bezogene Büro. Draußen, am Haupteingang prangt der Bundesadler auf grauem Beton. Für das Foto stellt sich Barbie Haller neben ihm auf und nimmt spontan die Yoga-Stellung "Adler" ein. Eine Übung für Gleichgewicht und Kraft. Beides braucht sie in ihrer neuen Position seit dem ersten Tag. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine dauert nun schon fast vier Monate. Seine Folgen bestimmen das Arbeiten in der Bundesnetzagentur. Auf der Leitungsebene geht es von morgens bis abends um die Frage der Gaslieferungen und der Versorgungssicherheit in diesem Land. Krisenmodus. "Die Themen sind die gleichen, um die ich mich vorher schon gekümmert habe"
, sagt Haller nüchtern. Bis zu ihrem Amtsantritt war sie Vorsitzende der Beschlusskammer 7 "Gasnetzzugang". Damit war sie verantwortlich für die Regulierung von Gasnetzbetreibern, insbesondere hinsichtlich Kapazitäten, Zugang zum Gasnetz, Regulierung, auch die russischen Pipelines Nord Stream I+II, LNG-Terminals und Lieferantenwechsel. Ihre Kompetenz auf ihren Fachgebieten war offensichtlich so unstrittig, dass ihre Ernennung ohne politisches Gerangel über die Bühne ging.
Tausche Politik gegen Behörde
Als Vizepräsidentin ist sie auch für den Bereich Post zuständig, außerdem für die Außenstellen und die zukünftige Aufstellung des Verbraucherschutzes. "Da arbeite ich mich gerade ein."
Ihren Arbeitstag beginnt Barbie Haller, nachdem ihre beiden Töchter zur Schule aufgebrochen sind. "Ab dann ist jede Minute bis zum Feierabend gefüllt"
, erzählt sie. "Als BK-Vorsitzende hab ich mindestens die Hälfte der Zeit zu Hause gearbeitet, im Lockdown war ich gar nicht im Büro. Es ging mir wie allen Eltern: etwas anderes war gar nicht möglich"
, erinnert sie sich. "Und auch jetzt ist mein erklärtes Ziel, einen Tag im Homeoffice zu arbeiten – auch, um Vorbild zu sein."
Haller ist überzeugt, dass alle im Haus das hybride Arbeiten einüben müssen. Hybrid bedeutet, dass beides möglich ist: Arbeit von außerhalb des Büros und Büropräsenz. Alle Umfragen bestätigen, dass sich die Mehrheit aller Arbeitnehmer*innen eine solche Lösung wünscht. Flexibilität. Haller weiß das. Als die Pandemie hereinbrach, mussten sich alle schnell umstellen. Das hat gut geklappt. Aber manche Abläufe könnten noch verbessert werden, um am Ende zufriedene Beschäftigte und gute Arbeitsergebnisse zu bekommen. "Wir sollten uns immer fragen, was wir mit einer Besprechung erreichen wollen. Manchmal ist es sinnvoll, sich in die Augen zu sehen. Gerade, wenn es nicht so sehr um die Sache geht, sondern eher um das gegenseitige Kennenlernen und Verstehen. Wenn aber nur Punkte einer Vorlage abgestimmt werden müssen, können wir das leicht in einer Videokonferenz tun. Und egal, wie wir uns treffen: Wichtig ist, dass das geplante Ende auch wirklich das Ende ist."
Spielraum zur Optimierung sieht sie auch bei sich selbst: "Herr Müller kommt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Da muss ich noch nachziehen."
Barbie Haller ist sehr weit oben angekommen. Aber wie ist sie dort hingekommen? "In meiner Jugend habe ich sehr viel Politik gemacht"
, beginnt sie ihren Bericht. Mit 24 war sie die jüngste Frau im Bundesvorstand der FDP. "Ich wollte an den Regeln mitwirken, die die Gesellschaft sich gibt. Außerdem hat es mich immer interessiert, wie Wettbewerb und Marktwirtschaft funktioniert. Was muss der Staat tun, damit beides funktioniert? Das ist eine relativ global-galaktische Fragestellung"
, kommentiert sie ihre eigenen Ambitionen mit dem Anflug eines Grinsens. "Jedenfalls wollte ich mehr über die Details dieser Frage wissen und habe deshalb Volkswirtschaft studiert. Meine Diplomarbeit handelte von der Privatisierung der Eisenbahn."
Damit war sie schon sehr nah an der Bundesnetzagentur dran. Monopolmärkte, Kartellrecht – damit kannte sich die junge Absolventin aus. "Aber eine Behörde? Das hab ich mir erstmal langweilig vorgestellt. Beim Vorstellungsgespräch wurde ich aber so auf die Probe gestellt, dass ich mich richtig anstrengen musste. Und dann wollte ich auch gewinnen."
Mangelnder Ehrgeiz war kaum ihr Problem. 2004 gewann sie die Stelle. Ihr politisches Engagement ließ sie daraufhin auslaufen. Das Energierecht war zu dem Zeitpunkt noch sehr jung. Haller baute den Bereich aus und füllte ihn mit Inhalt. Heute ist die Netzagentur ohne ihn nicht vorstellbar. Den Vorsitz der Beschlusskammer 7 übernahm sie, "um das juristische Handwerk zu lernen"
.
Licht am Ausstiegshorizont
Was Barbie Haller kann, ist seit dem 24. Februar geradezu schicksalhaft geworden. Das ganze Land spricht inzwischen über Gasnetze, Füllstände, Kapazitäten. "Es war lange klar, dass die Gasversorgung ein klimapolitisches Thema ist. Sie war aus gutem Grund zum Ende verurteilt. Wir hatten aber alle nicht auf dem Schirm, wie sehr wir am Gas hängen."
Sie ist nicht die Einzige, die diese Situation als furchtbares Dilemma empfindet. Die Klimakrise aufhalten und fieberhaft neues Gas beschaffen. Den Erneuerbaren Vorrang einräumen und angespannt hoffen, dass die fossile Energie nicht endet. Das geht nicht zusammen. Es ist das Gegenteil von Klimapolitik. "Es ist auch moralisch schwierig, weiterhin ein System zu stützen, das auf russisches Gas angewiesen ist"
, bekennt sie klar. Und dennoch. "Wir müssen unsere Bevölkerung und unsere Industrie schützen."
Den Knoten lösen könne man nur mit einem Ausstiegshorizont. "Die Bundesregierung hat eine Exitstrategie. LNG-Terminals sind für die nächsten fünf bis zehn Jahre geplant. Danach braucht es eine Umrüstung auf Wasserstoff."
Damit wiederholt sie das Mantra, das derzeit viele politisch Verantwortliche vor sich hertragen. Haller weiß, dass es dafür noch keinen konkreten Plan gibt. "Den müssen wir gemeinsam entwickeln, auch die Bundesnetzagentur. Die Gasinfrastruktur muss eine Wasserstoffinfrastruktur werden."
Ein Ziel zu formulieren, so heißt es, ist der erste Schritt zur Lösung. Greifbarer geht es bei den Erneuerbaren Energien zu. "Der Ausbau geht jetzt schneller von Statten. Die Prozesse sind hier angelegt, im Gegensatz zum Gasausstieg. Jetzt, im Krisenmodus, haben sich die Prioritäten verschoben. Aber wir müssen den Fokus wieder auf den Netzausbau legen. Er ist existentiell."
Die Presse unterstellt der Bundesnetzagentur oft, den Ausbau zu verzögern. Haller ist sich aber sicher: "Was wir durch längere Genehmigungsverfahren erreichen, ist eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch der Naturschutz gewinnt."
Tatsächlich ist es so, dass sich Verfahren verzögern, weil vor dem Trassenbau Biotope angelegt, Tiere umgesiedelt und Wälder erhalten werden. Ausgleichsmaßnahmen heißt das in der Verwaltungssprache.
Barbie Haller ist die einzige Frau im Präsidium. Das ist exemplarisch. Immer noch fehlen die Frauen in Führungspositionen. Hat sie aufgrund dieser Tatsache einen besonderen Blick auf ihre weiblichen Kolleginnen? "Vielleicht nicht bewusst", s
agt sie nach einer kurzen Denkpause. "Ich denke es einfach automatisch mit. Es fällt mir sofort auf, wenn auf der Liste der Beförderungen wenige Frauen stehen. Das spreche ich auch an. Ich mache das nicht, weil ich eine Frau bin, sondern weil ich ich bin."
Was macht einen zu dem Menschen, der man ist? Natürlich, Erfahrungen. Auch Haller hat erlebt, was viele Frauen berichten könnten: "Der Klassiker: Ich bringe bei einem Meeting einen Vorschlag ein. Kurz darauf wiederholt ein Mann den gleichen Vorschlag, der aber vom Vorgesetzten aufgegriffen und gelobt wird. Ich erkenne solche Sachen und handle entsprechend."
Übergangen werden, nicht ernst genommen werden. Das hat die Vizepräsidentin lange hinter sich. Es ist nicht nur ihre Position. Ihr Auftreten ist entschieden, selbstbewusst und bei aller Souveränität immer mit einem Quäntchen Heiterkeit versehen. Sind das auch die Qualitäten, die man braucht, um eine so große Behörde zu führen? "Egal ob Mann oder Frau"
, resümiert sie, "jede Führungskraft sollte sich gewahr sein, dass alle ein Leben außerhalb der Arbeit haben. Verschiedene Leben. Ich will, dass hier ganz unterschiedliche Lebensentwürfe vorkommen. Dass sich alle akzeptiert fühlen. Das ist nicht nur für die Leute wichtig, sondern auch für uns. Wir kriegen irgendwann kein Personal mehr, wenn die Leute sich nicht wohlfühlen."
Was Haller sagt, klingt modern, aufgeschlossen – und pragmatisch. Wer sollte ihr widersprechen? Viele Menschen verbringen mehr Zeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen als mit ihrer Familie. Deshalb findet es Haller unsinnig, bei der Arbeit nur über die Arbeit zu sprechen. "Ich möchte doch wissen, mit wem ich es den ganzen Tag zu tun habe. Und ich freue mich, wenn mir dieser Mensch mit Offenheit begegnet."
Wer Menschen begegnet, die so viel Verantwortung tragen wie Haller, so viele weitreichende Entscheidungen treffen und den ganzen Tag praktisch pausenlos arbeiten, fragt sich unwillkürlich: Wie geht das? Ihr Gesichtsausdruck signalisiert: Ist doch klar. Was sie sagt: "Man muss sich auf einen Fokus konzentrieren, Dinge ausblenden können. Während ich hier sitze und spreche, bin ich ganz bei der Sache und nicht bei den nächsten drei Terminen. Erst eins, dann das andere. Nur so kann man überhaupt abschalten."
Das ist das Gegenteil von Multitasking. Aber macht sie wirklich nie mehrere Dinge gleichzeitig? "Wenn ich die Spülmaschine ausräume, denke ich auch über Gasversorgung nach. Aber das geht nur, weil ich bei der einen Sache nicht denken muss."
Es ist fast 20 Jahre her, dass Barbie Haller in der Bundesnetzagentur angefangen hat. Doch gefragt nach dem drängendsten Thema unserer Zeit, klingt ihre Antwort fast so wie sie sie mit Anfang 20 gegeben hätte: "Alle, die in diesem Staat Verantwortung tragen, müssen dafür sorgen, dass er funktioniert. Das klingt vielleicht banal, ist aber unglaublich wichtig. Wir müssen gut zusammenarbeiten – vom Landratsamt bis zur Genehmigungsbehörde."
Die Ziele der Bundesnetzagentur lauten offiziell: Energiewende, Digitalisierung und Verbraucherschutz. Am Beispiel des zweiten Punktes macht Haller deutlich, was sie meint: "Wenn es der Staat nicht schafft, Digitalisierung zu organisieren – in Industrien und bei sich selbst – ist das wohlstandsgefährdend. Aber das Gute ist: in jeder Einheit eines Gemeinwesens kann jeder und jede etwas beitragen."
Ihre Mitarbeiterin steckt den Kopf zur Tür hinein und erinnert sie an den nächsten Termin. In zehn Minuten steht – wie könnte es anders sein? – eine Krisensitzung an. Für Haller kein Grund zur Hektik. "Dann gehen wir noch ein paar Schritte."
Zum Präsidium der BNetzA: www.bundesnetzagentur.de/praesidium